Bestseller-Autor Sebastian Fitzek schreibt für den Beck'schen Referendarführer über das Jurastudium. Fitzek hat im Urheberrecht promoviert, "aber ich bin Halbjurist, ohne zweites Staatsexamen", schreibt er. Was ihn am Jurastudium gereizt hat - und warum er später doch Schriftsteller wurde.
Als ich gefragt wurde, ob ich eine Glosse für den Beck’schen Referendarführer schreiben möchte, fühlte ich mich sehr geehrt.
Zumal der Themenvorschlag lautete: «Wie schafft man es, als Jurist doch noch etwas ‹Ordentliches› zu werden?»
Meistens stellen mir alte Studiengefährten genau die gegenteilige Frage, nämlich wann ich mich denn auf meinen «ordentlichen Beruf» besinnen und den albernen Ausflug in die Niederungen der Belletristik endlich aufgeben würde.
Was, selbst wenn ich es wollte, gar nicht so einfach wäre, denn ich habe zwar im Urheberrecht promoviert, aber ich bin nur Halbjurist, ohne zweites Staatsexamen.
Das Leben kam mir vor dem Referendariat dazwischen, damals in Gestalt eines Angebots als Chefredakteur beim Berliner Rundfunk.
Im Grunde bin ich der Albtraum eines auf Gradlinigkeit und konsequente Berufszielverfolgung achtenden Personalberaters und – gemessen an meinen Lebenszielen – ein totaler Versager. (Ein Satz, den meine Lektorinnen wegen unsäglicher Substantivierung rot markieren würden, aber hey, wir sind ja unter uns Juristen.)
Ich wollte nie Autor werden. Niemals beim Radio arbeiten. Und nie Jura studieren.
Vom Medienrechtler zum Musikmanager?
Als ich im Wintersemester 1991, also in einem für Smartphonebesitzer prähistorischen Zeitalter, mein Studium der Rechtswissenschaften an der FU Berlin begann, war das aus der Not geboren.
Ich hatte gerade erfolgreich ein Veterinärmedizinstudium nach nur drei Monaten abgebrochen, weil ich über meine Tierliebe vergessen hatte, dass ich zwei linke Hände habe, die mir schon beim Sezieren eines Hundes im Weg waren. Was sollten da später die noch lebenden Tiere sagen?
Aber auch Tierarzt war nicht meine erste Wahl, nicht einmal meine dritte. Ich hatte Tennisspieler und Schlagzeuger werden wollen, beides scheiterte an einem offensichtlichen Mangel an Talent.
Meinen Traum vom Job in der Musikindustrie, damals wurden noch Schallplatten und CDs verkauft, wollte ich dennoch nicht aufgeben. Band oder Konzertmanager schwebte mir vor, aber selbst ein Praktikum bei Labels und Agenturen war unerreichbar. Denn um in die heiligen Hallen der Musikindustrie vorgelassen zu werden, braucht man Beziehungen. Da meine Eltern Lehrer waren, sah es mit ihren Kontakten in die schillernde Welt des Showbusiness eher schlecht aus.
In meiner grenzenlosen Naivität nahm ich an, dass es auch Menschen mit einer ordentlichen Berufsausbildung in den von mir angestrebten Aufgabenbereichen geben musste. Ich schnappte mir das Handbuch der Musikwirtschaft und studierte die Lebensläufe der A&R-Manager, -Produzenten und -Plattenbosse. Und siehe da: Ich fand auffällig viele Juristen unter ihnen.
Überall Juristen, Juristen, Juristen
Vermutlich hätte ich auch im Handbuch der Fleischereiwirtschaft nachschauen können und wäre auf eine ähnliche Schnittmenge gestoßen. Dass Jura damals ein Modefach und völlig überlaufen war, wurde mir erst klar, als ich im Audimax um einen Platz auf dem Fußboden kämpfen musste.
Ich hatte mich eingeschrieben in dem Glauben, mit dem Studium des Wettbewerbs-, Medien-, Urheber- und Verlagsrechts meinem Traum von der Arbeit im Musikgeschäft als abgebrochener Schlagzeuger endlich näher zu kommen.
Ich hatte erwartet, mich durch ein knochentrockenes Paragraphenstudium durchbeißen zu müssen, um am Ende mit einem Traumjob belohnt zu werden. Ich musste lernen, dass ich völlig falsch lag.
Die Vorlesungen streiften noch nicht einmal die von mir erwarteten Rechtsgebiete, waren aber dennoch faszinierend und spannend.
Ich erlebte etwas, das alle Leserinnen und Leser nachvollziehen können, die im Regal seit Jahren ein ungelesenes Buch haben, dessen Titel und Thema sie nicht anspricht und das sie schon oft in den Händen hielten, jedoch nie zu lesen begannen. Irgendwann greifen wir dann doch in allerhöchster Not zu dem Buch, einfach aus Mangel an Alter nativen. Und stellen beim Lesen fest, dass wir es mögen. Nein, dass wir es sogar lieben. Dass es das Potential hat, unser Lieblingsbuch zu werden. Und wir fragen uns, wieso wir diesen Schatz so lange ignoriert haben. Auch das Jurastudium hat meine Erwartungen weit übertroffen.
Das Jurastudium – ein Studium generale?
Der Begriff des Studium generale mag zu hoch gegriffen sein, aber das Studium der Rechtswissenschaft hat mich vieles gelehrt, was mir heute meinen Beruf als Autor erleichtert, wenn nicht sogar erst ermöglicht.
Eine juristische Argumentation muss – wie eine fiktionale
Geschichte – den Adressaten überzeugen. Sie beginnt mit der Recherche jener Fakten, auf denen wir unsere Argumentationskette aufbauen. Neben dem Handwerk der Recherche habe ich an der rechtswissenschaftlichen Fakultät aber etwas noch Essentielleres gelernt: die Notwendigkeit, im Leben einen anderen Standpunkt einzunehmen, um seine eigenen Ansichten auf den Prüfstand zu stellen.
«Nichts ist, wie es auf den ersten Blick scheint», schrieb ein wohlwollender Kritiker über mein Debüt «Die Therapie». Im Grunde eine Zusammenfassung jener Aha-Effekte, die ich beim Studium mehrfach erlebte, etwa wenn die nähere Betrachtung Kausalketten in Frage stellte, die auf den ersten Blick ganz logisch erschienen: Der Arzt vergaß eine Vorsorgeuntersuchung der schwangeren Frau, weswegen die Missbildung des Babys nicht diagnostiziert wurde.
Natürlich gibt es hier einen «Schaden» – war meine Erstsemesterreaktion. Die «Was wäre, wenn der Arzt korrekt gehandelt- hätte»-Frage stellte ich mir nicht.
Aber sie ist natürlich entscheidend, verändert alles. Sie öffnete mir damals das Tor zu einem moralischen Dilemma, denn bis heute will ich ein lebendiges, jedoch krankes Kind nicht als Schaden ansehen, die Eltern aber nicht mit den Kosten der finanziellen Mehrbelastungen alleine lassen.
Heute bestimmen «Was wäre, wenn»-Fragen mein Leben. Nahezu jeder meiner bisher sechzehn Psychothriller dreht sich um eine: «Was wäre, wenn das Paket, das ich für den Nachbarn annehme, einen gefährlichen Inhalt hat?» – «Was wäre, wenn mein Kind, das ich zum Arzt begleitet habe, nie wieder aus dem Behandlungszimmer herauskommt?» – «Was wäre, wenn eine Blinde die einzige Zeugin ist und den Täter sogar beschreiben kann?»
Die Juristenausbildung – eine Kreativitätsschmiede
Oft werde ich belächelt, wenn ich sage, dass ich die Juristenausbildung für eine Kreativitätsschmiede halte. Aber selten wird das «out of the box»-Denken so gefördert wie hier. Und es ist eben nicht nur ein Gesetz der Masse, dass wir Juristen in so vielen, verschiedenen Lebensbereichen zu finden sind.
Gerade das Strafrecht, dem ich in gewisser Hinsicht treu geblieben bin (nur dass ich die Axtmörder nicht in der Realität, sondern auf dem Papier anklage, verteidige oder richte), hat mich gelehrt, was für meinen derzeitigen Beruf als Autor unabdingbar ist: den Sachverhalt aus allen denkbaren Perspektiven zu beleuchten, bevor man entscheidet.
Viele Menschen vergleichen das Leben mit einer einzigen, großen Reise, die bei näherer Betrachtung übrigens eine Parallele zu der dreiaktigen Erzählstruktur hat, in die wir fast intuitiv verfallen, wenn wir uns Geschichten erzählen: Man bricht auf in das Ungewisse (1. Akt: Geburt), man zieht durch fremde Welten (2. Akt: Leben im Allgemeinen) und man kehrt zurück (3. Akt: Tod). Im Grunde genommen ist dieser Vergleich hilfreich, aber – was sollte ich als Jurist auch sonst sagen – er greift zu kurz.
Das Leben ist nicht eine Reise, sondern sie besteht aus unglaublich vielen, unterschiedlichen Reisen. Und meine nicht sehr weltbewegende, aber für Kühlschrankmagneten geeignete These lautet: Je mehr Reisen man erlebt habt, desto erfüllter und glücklicher war das Leben.
Schon aus diesem Grund bedauere ich hin und wieder, dass ich niemals Referendar war. Ich bin mir sicher, diese Reise hätte mir noch weitere Aha-Effekte beschert; hätte mich die Welt, in der ich lebe, erneut mit anderen Augen sehen lassen. Hätte mich noch kreativer werden lassen. Doch dazu haben Sie ja jetzt die Gelegenheit. Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern des Beck’schen Referendarführers eine gute und spannende Reise. Vielleicht kreuzen sich ja irgendwann unsere Wege. Und Sie könnten sich ja jetzt schon mal fragen: «Was wäre, wenn …?»
Sebastian Fitzek geboren 1971, ist Deutschlands erfolgreichster Autor von Psychothrillern. Seit seinem Debüt «Die Therapie» (2006) ist er mit allen Romanen ganz oben auf den Bestsellerlisten zu finden.
Mittlerweile werden seine Bücher in vierundzwanzig Sprachen übersetzt und sind Vorlage für internationale Kinoverfi lmungen und Theateradaptionen. Als erster deutscher Autor wurde Sebastian Fitzek mit dem Europäischen Preis für Kriminalliteratur ausgezeichnet. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.
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