Jura und Sprache: Gespräch eines Juristen mit einer Linguistin über ein besonderes Thema

Interview mit Ghazzal Novid und Diana Nacarlı

Diana Nacarlı hat Deutsch und Philosophie auf Gymnasiallehramt studiert. Sie promoviert zum Thema Leichte Sprache. Ghazzal Novid, selbst Doktorand und Wissenschaftlicher Mitarbeiter in den Rechtswissenschaften, spricht mit ihr im Interview über das Verhältnis zwischen Jura und Sprache. Ein interessanter Blick über den juristischen Tellerrand hinaus, den man gar öfter wagen könnte.

GN: Frau Nacarlı, was geht Ihnen als Linguistin durch den Kopf, wenn sie Wörter wie „Nichtjurist“ oder „Pfändungspfandrecht“ hören?

DN: Solche rhetorischen Spielereien lassen natürlich direkt mein Linguistinnen-Herz höher schlagen.

GN: Wenn ich jetzt das Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz erwähne, dann bricht bei Ihnen wahrscheinlich ein regelrechter Dopamin-Schwall aus. Halten Sie solche Wortschöpfungen für normal oder haben Jurist*innen einen an der Klatsche?

DN: Ich würde lügen, würde ich sagen, dass das mit dem Dopamin nicht stimmt. Um Ihre Frage zu beantworten, müssten wir zunächst klären, was normal ist. Jedoch kann ich sagen, dass ein Blick in die Verständlichkeitsforschung zeigt, dass solche langen Wörter Verständnishürden darstellen. Ich würde demnach zwar nicht sagen, dass Jurist*innen einen an der Klatsche haben, jedoch mögen sie es augenscheinlich gerne kompliziert.

Komplexe Fachbegriff als Teil des Berufs?

GN: Man könnte auch sagen, dass eine komplexe Wirklichkeit in der Sprache gespiegelt werden muss. Lassen wir aber beides mal so stehen. Verkauft man sich nicht umso besser, desto eher man (passende) Fachbegriffe benutzt?

DN: Die Frage ist ja, ob der ausgedrückte Gegenstand tatsächlich komplex ist oder nur den Anschein macht, da er mit einem komplexen Begriff bezeichnet wird. Was mich auch zu Ihrer Frage führt: Natürlich haben Fachbegriffe die Eigenschaft, Dinge prägnant und korrekt auszudrücken. Dennoch stellt sich die Frage, vor wem man sich gerne verkaufen möchte und ob man überhaupt noch verstanden wird, wenn die Begriffe zu komplex sind.

GN: Das ist wohl richtig. Inwieweit, meinen Sie, sind komplexe/komplizierte Wörter wichtig für den berühmten juristischen Stallgeruch? Schafft Sprache nicht auch Gemeinsamkeiten?

DN: Die Verwendung einer bestimmten Varietät markiert auch immer Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Durch gewisse Sprachcodes wird also deutlich, wer zu welcher Gruppe gehört. Damit geht aber auch definitiv ein Abgrenzungsprozess einher. Je komplexer und entfernter die Varietät von der Standardsprache ist, desto schwieriger wird es, Teil der Gruppe zu werden, die die jeweilige Varietät verwendet.

Juristen drücken sich komplex aus, um als kompetent wahrgenommen zu werden

GN: Wenn sich ein Jurist im Bereich Lebensmittelrecht bewirbt, sollte er also solche Wortschöpfungen wie oben schon drauf haben?

DN: Ich kann mir schon vorstellen, dass die Erwartungshaltung an Jurist*innen ist, dass sie sich komplex ausdrücken können. Demnach könnte es auch sein, dass Jurist*innen, die sich verständlicher ausdrücken, um alle zu erreichen, eventuell als weniger kompetent wahrgenommen werden; obwohl es eigentlich stärkere Kompetenzen erfordert, komplexe Inhalte verständlich zu vermitteln. Für meine These habe ich allerdings keine empirischen Belege, das ist lediglich mein Gedanke dazu.

GN: Wahrscheinlich ist das tatsächlich die Kunst. Das frühere Römische Recht hat noch immer immensen Einfluss auf die heutigen Rechtsordnungen in Europa. Wie wichtig sind Lateinkenntnisse für die Allgemeinbildung?

DN: Das ist eine sehr gute Frage. Tatsächlich wirken sich Lateinkenntnisse auch positiv auf die Deutschkompetenzen aus, jedoch denke ich, dass, wenn es um Allgemeinbildung geht, Menschen nicht unbedingt Lateinkenntnisse haben müssen. Mir würde jetzt spontan keine Alltagssituation einfallen, in der man dies bräuchte. Wie das nun für einzelne Fachbereiche aussieht, kann ich nicht sagen.

GN: Zum Glück ist das Latinum keine Voraussetzung für die Aufnahme eines Jurastudiums, doch Lateinkenntnisse schaden sicherlich nicht. Im Vorgespräch erwähnten Sie, dass Sie für sich damals auch ein Jurastudium in Betracht gezogen hatten. Was hatte Sie dazu bewogen und was vom Juridicum dann doch ferngehalten?

DN: Wie sicherlich viele Studierende hatte ich den Wunsch, Menschen zu helfen, für Gerechtigkeit zu sorgen. Jedoch hatte ich auch immer den Wunsch in die Bildung zu gehen, da es hier auch immer noch viel Ungleichheit gibt. Mein NC hat dann später für mich entschieden.

GN: Und jetzt promovieren Sie noch in Ihrem Fach. Was hat Sprache eigentlich mit Gerechtigkeit zu tun?

DN: Wieder eine sehr gute Frage! Sprache an sich ist erst einmal immer neutral. Durch Konventionen oder andere Prozesse erhalten die Wörter einer Sprache dann ihre Bedeutung und damit ihre Wertung. Diese Sprache formt auch immer das Denken einer Sprachgemeinschaft und kann damit die Perspektive auf bestimmte Gruppen oder Sachverhalte beeinflussen. Ein prominentes Beispiel dafür sind die „Unwörter des Jahres“. Sprache hat damit auch eine Auswirkung auf das Empfinden, wem in der Gesellschaft beispielsweise, welche Form von Gerechtigkeit zusteht.

GN: Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

 

Über die Interviewpartner:

Ghazzal Novid 
Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand
am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Zivilprozessrecht
an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
 

Diana Nacarlı
promoviert an der Universität Kiel Deutsch und
Philosophie zum Thema Leichte Sprache