
Juristen werden zu Generalisten ausgebildet. Aber für welches Berufsbild ist man wirklich fit, wenn man sein zweites Staatsexamen in der Tasche und die Befähigung zum Richteramt hat?
Justitiar oder Rechtsanwalt – diese Entscheidung ist für Juristen im oberen Teil des unteren Drittels der Notenskala die Realität. Denn der Staatsdienst ist in weite Ferne gerückt, wenn man nicht einmal das kleine Prädikat hat. Hat man keine eindeutige Präferenz, bewirbt man sich also im Zweifel sowohl auf Stellen als Unternehmensjurist und als Anwalt. Der Unterschied kann ja so groß nicht sein!
Oder etwa doch? Und falls der Unterschied größer ist, als man denkt: Kann man trotzdem einfach so vom Unternehmensjuristen zum Rechtsanwalt werden? Wird aus einem guten Vertragsjuristen auf Knopfdruck ein streitbarer Anwalt? Wirft man sich einfach eine Robe über und ist Anwalt? Kommt darauf an.
In der Ausbildung werden Weichen gestellt
Man hat es ja schon als Student immer gesagt bekommen: In der Ausbildung werden die Weichen für später gestellt. Ich wage zu behaupten, dass ein Großteil der Jurastudenten diese Information nicht allzu ernst nimmt. Den Job wechseln kann man ja später immer noch, wenn einem das gewählte Berufsfeld nicht passt – so viel zur Theorie.
Klar ist aber: Wer sich neben den Praktika und Referendariats-Stationen bei Gericht gezielt in Kanzleien und Rechtsabteilungen eines Unternehmens umsieht, dem fällt es später leichter, den richtigen Job für sich zu finden und auch dabei zu bleiben. Wer schon in der Ausbildung einen Schwerpunkt gelegt hat, ohne über den „Tellerrand“ hinauszusehen, dem fällt später ein Wechsel schwer – schlicht, weil jegliche praktische Erfahrung fehlt und man im Zweifel nur bedingt weiß, worauf man sich wirklich einlässt, wenn man z. B. vom Unternehmensjuristen zum Rechtsanwalt wird.
Unternehmensjurist – eine andere Welt
Entscheidet man sich direkt nach der Ausbildung, als Jurist in einem Unternehmen anzufangen und hat man sich im Referendariat nicht schon einmal in Rechtsabteilungen umgesehen, betritt man eine Welt, auf die man in der Ausbildung nicht wirklich vorbereitet wird. Gutachten, Urteil, Schriftsätze, hin und wieder ein Mandantenbrief – jahrelang durfte man sich damit auseinandersetzen.
Aber: Verhandlungen mit Vertragspartnern, Verträge formulieren? Diplomatisch ein Rechtsproblem anreißen, ohne alle Türen in einer Geschäftsbeziehung zuzuwerfen? Nie gehört – nie geübt. Wohl dem, der in der Rechtsabteilung einen geduldigen Vorgesetzten hat, der einem all diese wundersamen Dinge in den ersten Monaten beibringt. Wohl dem, der nicht plötzlich alleine „die Rechtsabteilung“ ist – denn auch das kommt vor.
Natürlich kommt es auch und gerade in der Rechtsabteilung eines Unternehmens auf solide Rechtskenntnisse an. Aber anders, als man in der reinen Rechtslehre gelernt hat, geht es hier meist nicht um schwarz oder weiß, nicht nur um Recht haben oder nicht. Es geht um Wirtschaftlichkeit, um Machbarkeit und darum, langjährige Geschäftsbeziehungen nicht mit einer E-Mail oder einem gewagten Vertragsentwurf aufs Spiel zu setzen, weil man auf seinem theoretischen Recht beharrt.
Natürlich geht es auch bei der Tätigkeit als Anwalt nicht immer nur um schwarz oder weiß. Auch in der Rechtsberatung ist Wirtschaftlichkeit wichtig – keine Frage. Doch muss man als Anwalt im Zweifel viel deutlicher Position beziehen, anders auftreten und das Recht des Mandanten im Zweifel energisch durchsetzen, vor allem, wenn man sich als Anwalt nicht auf die externe Beratung von Unternehmen spezialisiert hat. Ist eine einvernehmliche Lösung nicht gewollt oder nicht möglich, muss die Position des Mandanten mit Nachdruck durchgesetzt werden, auch wenn das hin und wieder gegen die persönliche Überzeugung geht. Denn nicht immer ist die Haltung des eigenen Mandanten ausschlaggebend dafür, dass man sich nicht mit dem Gegner einigen kann. Oftmals ist der Gegner – selbst wenn die Rechtslage klar gegen ihn spricht – nicht einigungsbereit und eine gerichtliche Auseinandersetzung nicht zu vermeiden.
Gerade diese Situation ist für einen ehemaligen Unternehmensjuristen nicht einfach, weil man sich an die produktive Zusammenarbeit mit der Gegenseite gewöhnt hat. War es doch immer Aufgabe, am Ende ein für beide Seiten sinnvolles wirtschaftliches Ergebnis auf Basis der rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten zu erzielen. Vor allem, wenn man als ehemaliger Unternehmensjurist gerichtlich vorgehen muss, obwohl die Rechts- und Beweislage vermeintlich klar ist, wird einem schnell bewusst, dass der Wechsel vom Unternehmensjuristen zum Rechtsanwalt ein echter Perspektivwechsel sein kann und man lernen muss, über seine alten Schatten zu springen.
Fazit
Wer jahrelang als Unternehmensjurist gearbeitet und kaum praktische Erfahrung im Bereich Anwaltschaft gesammelt hat, – ja, dies ist trotz diverser Ausbildungsordnungen mit Durchschlängeln durchausmöglich! – der tut sich beim Wechsel in den klassischen Anwaltsberuf schwer. Robe kaufen, überwerfen und „Anwalt sein“ funktioniert nicht so einfach. Zu unterschiedlich sind die Anforderungen, man muss sich plötzlich mit Prozessrecht und Prozesstaktik auseinandersetzen und sich an berufsrechtliche Vorgaben gewöhnen. Den Wechsel sollte man also nicht unterschätzen – vor allem, wenn man sich direkt nach einer Anstellung im Unternehmen selbstständig macht.
Leichter fällt der Wechsel, wenn man sich entweder zunächst für ein paar Jahre in einer Kanzlei anstellen lässt, von der Erfahrung der Kollegen lernt und strukturelle Abläufe verinnerlichen kann. Will man nicht gleich von der einen in die nächste Anstellung, ist es ratsam, sich – zumindest zunächst – einer Bürogemeinschaft anzuschließen, die die Bereitschaft mitbringt, dem „Neu-Anwalt“ im Zweifel ein wenig mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.
Dann kann der Umstieg vom Unternehmensjuristen zum Anwalt – trotz Perspektivwechsel und allen mit dem Wechsel verbundenen Strukturänderungen – sehr gut gelingen.
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