Als Jurist in der Politik

von Ghazzal Novid, verbrachte seine praktische Studienzeit unter anderem in einer Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag und nimmt ehrenamtliche Funktionen in Verbänden und gemeinnützigen Organisationen ein

Dieser Tage ist Politik doch spürbar anders geworden. Die sogenannte Digitalisierung ist nicht nur ein (unterschätztes) politisches Thema auf der Tagesordnung, sondern dominiert politische Verfahrensabläufe in den vielfältigen Staatsformen des Kontinents Europa und der restlichen Welt.

Digitalisierung ermöglicht komplexe Debatten im Galopp, Globalisierung zwingt aber zu immer kurzfristigeren Entscheidungsfindungen. Diese Verflüssigung von demokratisch essentiellen Prozessen ist nicht nur im Zusammenhang zur innovativen „LiquidFeedback“-Plattform der Piratenpartei zu sehen. Sie hat vielmehr das Potenzial zur unaufhaltsamen Disruptivität, also zu einem völlig neuen (hoffentlich) demokratischen Zeitabschnitt in diesem Land und auf der ganzen Welt. Und: Auch Berufe wandeln sich.

Wie behaupten sich Juristen im politischen Umfeld?

Otto von Bismarck, selbst studierter Jurist, soll gemeint haben, man träfe in Deutschland keinen Menschen, der nicht alles besser verstünde, „von der hohen Politik bis zu Hundeflöhen.“ Ja, Juristen stehen manchmal über den Dingen und beurteilen so einen Sachverhalt. Gute Juristen allerdings stehen erst über den Dingen, nachdem sie mittendrin gestanden haben. Denn dann wissen sie nicht nur, warum, sondern auch, worüber sie urteilen. Letztlich ist dies der Trumpf der Juristen in der Politik. Sie denken klar, argumentieren in der Sache und spitzen dann zu, um zum gewollten Ergebnis durchzudringen.

Dieses Handwerkszeug des Juristen ist dasselbe wie das des Berufspolitikers. Das Werk ist jedoch nicht Gutachten oder Gerichtsentscheidung, sondern der politische Erfolg, etwa in Form von gewonnenen Wahlen, Abstimmungen oder Ähnlichem. Das Abschichten von Fragen im Gutachtenstil ist für Juristen eine gute Übung, um auch politische Prozesse defragmentiert, folglich logisch zusammenhängend betrachten zu können. In Zeiten schnelllebiger Politik ist diese Fähigkeit Gold wert. Sie lässt in effizienter Weise wichtige politische Handlungsfenster erkennen und nutzen. Der richtige Zeitpunkt ist für politische Erfolge schließlich das A und O.

Persönlichkeit und Perspektive

Nun, vormachen darf man sich nichts. Gute Politiker sind geborene Politiker und nicht deshalb gut, weil sie bereits einem bestimmten Berufsstand angehören oder eine gewisse Ausbildung genossen haben. Dabei spielt es keine Rolle, ob man in der ersten Reihe stehen, sich als Fachpolitiker profilieren oder als politischer Berater im Hintergrund arbeiten möchte.

Freilich kann ein Talent und ein Gespür für eine bestimmte Sache nur dann ausgebaut werden, wenn es in einem Menschen bereits vorhanden ist. Das bedeutet, dass schon die überzeugte Mitgliedschaft in einer Partei oder politischen Organisation, einen (angehenden) Juristen oder eine (angehende) Juristin die Klärung der eigenen Karrierewünsche gebietet.

Können Sie sich vorstellen, hauptamtlich in einem Politik“betrieb“ mitzuwirken? Dann beschäftigen Sie sich mit den konkreten Perspektiven. Dabei kann ein Praktikum, etwa bei den örtlichen Abgeordneten, einer Fraktion, einer Partei oder sonstigen Organisation helfen. Einen noch besseren Einblick erhalten Sie mit einer Nebenbeschäftigung als Aushilfe oder Werkstudent. Abgeordnete bieten oftmals Hospitationen an. Aufgrund ihrer Kürze darf man dann allerdings keinen allzu umfassenden bzw. tiefen Einblick erwarten.

Die meisten Arbeitsplätze im Sinne eines Angestellten- oder Beamtenverhältnisses von Juristen in der Politik befinden sich in obersten Landes- oder Bundesbehörden (etwa Ministerien), in Landesparlamenten, im Bundestag oder Bundesrat. Selbstverständlich reißen sich auch Parteien, Verbände und NGOs um qualifizierte und erfahrene Angestellte mit einer juristischen Ausbildung.

Prominente Beispiele

Eine Erste-Reihe-Politikerin mit vielfältigen juristischen Karrierestationen ist Katarina Barley (derzeit Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz). Sie profilierte sich vor ihrem relativ späten Eintritt in die hauptamtliche Politik mit einem hochkarätigen Posten am Bundesverfassungsgericht, als Richterin am AG und LG und als Rechtsanwältin in einer Großkanzlei. Schließlich wurde sie Referentin in einem Landesministerium, bevor ihr mit Mitte 40 der Einzug in den Bundestag gelang. Kurz darauf bekleidete sie die Spitzen mehrerer Ministerien.

Interessant ist auch die Karriere des Universitätsprofessors Heribert Hirte, der mit Mitte 50, nach einer ohnehin schon steilen Akademikerlaufbahn, zum Bundestagsabgeordneten gewählt wurde. Als Fachpolitiker und Juraprofessor ist er ein in Fachkreisen angesehener Gutachter zu Gesetzesentwürfen im Wirtschaftsrecht und bekleidet zwar auch leitende Positionen, allerdings in eher unauffälligem Gefilde.

Auch nicht zu verachten sind die juristischen Hintergründe von Nicola Beer (Rechtsanwältin für Verwaltungsrecht) und Renate Künast (Rechtsanwältin für Ausländerrecht, Bürgerrechte und Strafrecht).

Man sieht: Es ist möglich und erstrebenswert, als Jurist in der Politik tätig zu sein.

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Quelle BECK Stellenmarkt 16/2018