Interkulturelle Kompetenz im juristischen Alltag: Situation – Problemfelder – Lösungen

von Dr. iur. Bernhard Labudek, Geschäftsführer der auf Juristen spezialisierten Personalberatung INTERNEXUS, München

Was ist interkulturelle Kompetenz?

Menschen sind kulturgeprägt. Ihr Denken, Handeln und Kommunizieren erfolgt im Rahmen von Vorgaben, die durch ihre jeweilige Kultur einschließlich ihrer Sprache bestimmt sind. Mit diesen kulturellen „Standards“ konstruieren wir die Wirklichkeit, sagt die Wahrnehmungs- und Erkenntnispsychologie. Dieser Zusammenhang ist uns normalerweise kaum bewusst. Sobald wir aber Beziehungen zu Menschen anderer kultureller Prägung knüpfen, merken wir, dass wir uns auf unsicherem Terrain bewegen.
Werde ich wirklich verstanden? Was genau meint mein Gegenüber? Haben wir tatsächlich eine gemeinsame Sichtweise?

Wer in einem internationalen Kontext tätig ist, kann von Problemen berichten. Häufig geht es um mehr als sprachliche Missverständnisse, sondern um Unterschiede in Auffassung und Bewertung der Zusammenarbeit.

Dabei muss man nicht an exotische Länder wie China oder Indien denken. Mitunter reicht der Kontakt zu Nachbarn aus Belgien, Polen, selbst aus Österreich. Kommunikation umfasst bekanntlich mehr als den Austausch objektiver Informationen. Seit Paul Watzlawick wissen wir: Man kann nicht nicht kommunizieren. Er und andere weisen darauf hin, dass nur maximal 20 % der Verständigung auf der bewussten Ebene ablaufen.

Es kommt darauf an, dass der Akt der Verständigung in einem umfassenden Sinn gelingt. Neben einer wirklich tiefen Sprachbeherrschung und Faktenkenntnis über die andere Kultur sind vor allem Aufgeschlossenheit für die Unterschiede, für „den anderen Blick“, die Fähigkeit zur Empathie und zur kritischen Selbstreflexion entscheidend sowie eine Grundbereitschaft, Mehrdeutigkeiten zu ertragen. Alles zusammen macht aus, was man interkulturelle Kompetenz nennt.

Was ist die Bedeutung für den juristischen Alltag?

Internationalisierung und Globalisierung machen selbstverständlich vor der Welt der Juristen nicht halt. Zahlreich sind die Felder, in denen es hier auf interkulturelle Kompetenz ankommt. Einige Beispiele:

– Internationale Mandanten suchen für ihre Angelegenheiten in Deutschland Rat und Hilfe in einer deutschen Kanzlei.

– Deutsche Mandanten suchen für ihr internationales Geschäft Beratung und Betreuung; die Hauskanzlei muss daher mit ausländischen Kollegen zusammenarbeiten.

– Der Legal Counsel eines Unternehmens muss sich mit den Kollegen aus anderen Niederlassungen oder mit dem – ausländischen – Mutterhaus abstimmen.

– Gegebenenfalls ist die Bildung von Task Forces aus Juristen der beteiligten Länder erforderlich. In manchen internationalen Großkanzleien findet dies laufend statt.

– Die europäische Ebene der Rechtsetzung und -anwendung macht eine internationale Zusammenarbeit für Verbandsjuristen, aber auch für forensisch tätige Anwälte längst unverzichtbar. Brüssel, Straßburg und Luxemburg sind schließlich nicht auf einem anderen Stern.

Gelungene Verständigung im internationalen Umfeld kann von strategischer Bedeutung sein. Die geringe Quote geglückter Fusionen und Übernahmen von Unternehmen zeigt dies ebenso eindrücklich wie die typischen Reibungsverluste in internationalen Strukturen. Auch die lebhaften Bewegungen in einigen internationalen Großkanzleien deuten darauf hin. Fehlinterpretationen führen zu Fehlverhalten. Daran können Organisationen und Mandantenbeziehungen zerbrechen. Es gewinnt, wer den Umgang mit Angehörigen anderer Kulturen am besten beherrscht. Die interkulturelle Kompetenz zukünftiger Kollegen und Partner ist somit von beachtlicher Relevanz – eine Schlüsselqualifikation.

Was ist zu tun?

Ursachen und Auswirkungen kultureller Prägungen werden seit Jahrzehnten wissenschaftlich untersucht, die entscheidenden Unterschiede für den geschäftlichen Bereich zusammengetragen und systematisiert. Die Ergebnisse sind ein nützliches Rüstzeug. Außerdem gibt es unzählige Coaches und Trainer, die auf Einsätze in einem Land mit seiner bestimmten Kultur vorbereiten.

Vieles lässt sich also lernen. Aber die beliebten Listen mit den „do’s“ und „don’ts“ für ein bestimmtes Land erzeugen eine trügerische Sicherheit.
Oft ist die Situation viel komplexer. Es hilft, wenn man für ein konkretes Mandat, etwa in Madrid, die Fettnäpfe kennt, die es zu vermeiden gilt. Spätestens wenn sich dort auch Vertreter aus Frankreich, Australien, Japan und Saudi-Arabien einfinden, um etwa in einer Arbeitsgruppe die Probleme des gemeinsamen Marktzugangs in den USA zu lösen, kommt man mit diesen Listen nicht sehr weit. Im Kern geht es um mehr. Eine bestimmte Verständnishaltung muss glaubwürdig eingenommen, nicht lediglich simuliert werden. Auch diese kann erworben und kultiviert werden.

Die Ausprägung dieser Qualifikation lässt sich – wie andere Kompetenzen auch – überprüfen und objektiv feststellen. Indizien sind etwa Studien- und Berufserfahrung im fremdsprachigen Ausland mit nachweisbaren Erfolgen, (ehrenamtliche) Tätigkeiten im multikulturellen Umfeld und bisherige Erfahrungen mit interkulturellen Problemen. Ferner deuten spezifische Persönlichkeitsmerkmale auf das Potential und die Ausprägung der genannten Haltung hin. Interkulturelle Kompetenz kann somit angemessen im Auswahlprozess berücksichtigt werden.

www.internexus.de

Quelle BECK Stellenmarkt 12/2017