Die Situation: gesetzliche Verankerung des Syndikusanwalts
Seit knapp zwei Jahren ist der Syndikusanwalt gesetzlich verankert. Dem gingen heftige Diskussionen innerhalb und zwischen den Standesvertretern und den gesetzgebenden Organen voraus. Anlass waren die im April 2014 getroffenen Entscheidungen des Bundessozialgerichts. Davor gab es eine 20-jährige, ebenfalls nicht unumstrittene Übung, welche auf die damalige Neufassung des § 6 Abs. 1 SGB VI zurückging. Vor dieser Reform des Sozialrechts, die vergleichsweise ohne große Aufregung von der Juristenschaft zur Kenntnis genommen wurde, waren die Regelungen für die in Unternehmen tätigen Rechtsanwälte wesentlich liberaler und einfacher. Die gesetzliche Ausgestaltung des Unternehmensjuristen hat somit einen bisher nicht gekannten Grad an Regelungsdichte und Verwaltungsaufwand erreicht.
Die Konsequenzen für die Betroffenen
Nunmehr ist unter anderem eine Pflicht zur Anzeige jeder (!) tätigkeitsbezogenen Änderung des Arbeitsvertrages und jeder wesentlichen (!) Änderung der Tätigkeit innerhalb des Arbeitsverhältnisses durch den Betroffenen vorgeschrieben. Dies ist eine Verschärfung der früheren Verpflichtung, die Änderung des Arbeitsverhältnisses beziehungsweise des Arbeitgebers der zuständigen Kammer anzuzeigen. Neu ist zudem, dass die Deutsche Rentenversicherung ein Recht auf Anhörung im Verfahren und auf Rechtsmittel gegen die Entscheidung der Kammer hat. Hiervon macht sie in großem Umfang Gebrauch. Es ist vor allem die Deutsche Rentenversicherung, welche gegen die aus ihrer Sicht ungünstigen Entscheidungen der Kammern klagt.
Mit der umfangreichen Normierung gehen – nicht überraschend – zahlreiche Zweifelsfragen einher, mit denen sich die Anwaltsgerichtshöfe seit Inkrafttreten der Neuregelung zu befassen hatten und haben. Allein die Übersicht der Rechtsprechung des AGH NRW auf dejure.org verzeichnet seit Inkrafttreten der Regelungen bis jetzt 17 Verfahren. Gestritten wird regelmäßig über die Frage, ob eine konkrete Tätigkeit in einem Unternehmen zur Zulassung als Syndikusanwalt berechtigt oder nicht. Jenseits allen dogmatischen Florettfechtens geht es eigentlich nur um eine Frage: Kann die Mitgliedschaft in der Anwaltsversorgung die Zahlungspflicht in die Deutsche Rentenversicherung ersetzen?
Diese Unsicherheiten erhöhen nicht gerade die Bereitschaft, innerhalb des Unternehmens weitere Funktionen auszuüben oder in andere Unternehmen zu wechseln, um dort Aufgaben außerhalb der reinen Tätigkeit in einer Rechtsabteilung zu übernehmen. Die Betroffenen wollen für sich den Versorgungsstatus als Rechtsanwalt erhalten, da sie gebrochene Versorgungsbiografien vermeiden wollen. Die Aussicht, jeweils kleinere Leistungen aus der Deutschen Rentenversicherung und aus der Anwaltsversorgung zu erhalten, erscheint nicht allzu lukrativ, zumal häufig Mindestzeiten der Einzahlungen für eine Leistungsberechtigung erfüllt werden müssen.
Es besteht zwar die Option, neben der Zahlungsverpflichtung an die Deutsche Rentenversicherung freiwillig Beiträge in das zuständige Anwaltsversorgungswerk zu leisten. Dies müsste jedoch aus dem Netto-Verdienst bestritten werden. Eine Beteiligung oder gar Übernahme dieser Zahlungen durch den Arbeitgeber ist bisher kaum üblich. Beides dürfte für die überwiegende Zahl der in Unternehmen angestellten Volljuristen kaum in Frage kommen.
Diese verringerte Mobilität wird zwangsläufig zu Tunnelkarrieren führen: einmal Unternehmensjurist, immer Unternehmensjurist. Die Bereitschaft, auch in nicht rein juristischen Aufgabenfeldern Erfahrungen zu sammeln und die eigene Kompetenz um neue Felder außerhalb eines fest umrissenen Korsetts zu erweitern, eigentlich eine wünschenswerte Haltung, wird seltener werden.
Die Folgen für den Arbeitsmarkt
Mittelfristig könnten sich mehrere Entwicklungen abzeichnen:
– Der Arbeitsmarkt wird tendenziell über weniger Fachkräfte mit juristischer Ausbildung für Aufgaben außerhalb des klassischen Rechtsbereichs verfügen. Nur die Mutigen werden den Nachteil einer gebrochenen Versorgungsbiografie in Kauf nehmen.
– Der Strom an Nachwuchskräften mit juristischer Ausbildung und Potenzial für Führungsaufgaben wird sich abschwächen. Dies betrifft sowohl „reine“ Unternehmensjuristen als auch Bewerber aus der Anwaltschaft mit entsprechenden Fähigkeiten und Neigungen. Den Unternehmen stehen zukünftig somit weniger Kandidaten mit Führungspotenzial zur Verfügung.
– Zudem könnte sich diese Gruppe den „Nachteil“ des Ausscheidens aus der Anwaltsversorgung durch eine entsprechende Zusatzleistung des Arbeitgebers ausgleichen lassen. Das heißt, für die Arbeitgeber wird es teurer.
– Schließlich wird dies zu einer Verringerung der Gruppe von Topmanagern mit juristischer Ausbildung führen. Denn wenn sich weniger aus dieser Gruppe für eine solche Karriere auf den Weg machen, kommen am Ende auch weniger oben an.