Das Medizinrecht – Heileingriffe als strafbare Handlungen?

von Jan-Rasmus Schultz, Diplom-Jurist und Promotionsstudent an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Sobald das Wort Medizinrecht fällt, assoziieren viele dies mit der juristischen Aufarbeitung eines sogenannten ärztlichen Behandlungsfehlers; sei es eine Nase, die auch nach der Operation noch schief ist, ein Knochenbruch, der nicht fachkundig behandelt wurde oder schlicht eine falsche Diagnose durch den behandelnden Arzt.

Obgleich die Aufarbeitung der Folgen eines  ärztlichen Behandlungsfehlers einen Großteil der praktischen Tätigkeit des Fachanwalts für Medizinrecht ausmacht, erschöpft sich diese nicht darin.
Vielmehr umfasst das Medizinrecht sämtliche Rechtsnormen, die in Zusammenhang mit der Ausübung der ärztlichen Heilkunde stehen. Hierzu zählen auch die Entwicklung, Herstellung und ordnungsgemäße Anwendung medizinischer Güter. In Rechtsprechung und Literatur steht ein Aspekt allerdings stets im Vordergrund: die Rechtfertigung des ärztlichen Eingriffs im Rahmen des Arzthaftungsrechts.

Der ärztliche Eingriff als Tatbestand der Körperverletzung

Die Einordnung des ärztlichen Heileingriffs als tatbestandliche Körperverletzung im Sinn des § 223 Abs. 1 StGB rührt aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts her, welches bereits im Jahre 1894 feststellte, dass auch der lege artis, also der nach allen Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführte Heileingriff den Tatbestand der Körperverletzung erfüllt.

Da der BGH, trotz zahlreicher kritischer Stimmen in der Literatur und innerhalb der instanzgerichtlichen Rechtsprechung, an dieser Qualifikation festhält, steht sowohl für den behandelnden Arzt als auch für den Fachanwalt im Medizinrecht der maßgebliche, stets zu beachtende Anknüpfungspunkt fest: die Rechtfertigung des Eingriffes im strafrechtlichen Sinne. Denn aufgrund der Einordnung des Heileingriffs als Körperverletzung ist es erforderlich zu prüfen, ob dieser Eingriff gerechtfertigt ist und somit keinerlei strafrechtliche Konsequenzen nach sich zieht.

Rechtfertigungsgründe für medizinische Eingriffe

Als Rechtfertigungsgründe kommen grundsätzlich der allgemeine Notstand gemäß § 34 StGB, die ausdrückliche Einwilligung gemäß § 228 StGB sowie die gewohnheitsrechtlich anerkannte, mutmaßliche Einwilligung in Betracht, wobei gerade die zwei letztgenannten Gründe in der Praxis eine bedeutende Rolle spielen.

Das Erfordernis einer Rechtfertigung und damit vor allem auch das einer wirksamen Einwilligung leitet die höchstrichterliche  Rechtsprechung einerseits aus dem Recht auf körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 GG sowie andererseits aus dem Selbstbestimmungsrecht als Ableitung aus dem Recht auf Menschenwürde gemäß Art. 1 GG her. Geschützt wird also die Entscheidungsfreiheit des Patienten in Bezug auf seine körperliche Integrität, über die der Arzt nicht eigenmächtig verfügen darf.

Eine wirksame Einwilligung setzt hierbei voraus, dass sie auf einem freien Willensentschluss des Patienten beruht, der auch nach außen hin erkennbar ist. Für diese Erkennbarkeit ist es zwar von Gesetzes wegen nicht erforderlich, dass bestimmte Formerfordernisse eingehalten werden; in der Praxis wird jedoch aus Gründen der Beweisbarkeit regelmäßig ein Formular verwendet, das der Patient unterschreibt.

Maßgeblich für die Wirksamkeit der Einwilligung ist stets, dass der Patient vor Abgabe seiner Einwilligung umfassend über das ärztliche Vorgehen und die damit verbundenen möglichen Risiken aufgeklärt worden ist.

Liegt hingegen ein medizinischer Notfall vor, verbleibt für die Einholung einer ausdrücklichen Einwilligung des Patienten regelmäßig keine Zeit, etwa dann, wenn der Patient ohnmächtig ist. In diesen Fällen kommt die mutmaßliche Einwilligung als Rechtfertigungsgrund zum Tragen, die erfordert, dass der konkrete ärztliche Eingriff medizinisch indiziert und in Anbetracht der akuten Gefahr für das körperliche Wohl des Patienten nicht aufschiebbar ist.

Mit anderen Worten: dem Arzt darf in der Notsituation keine Möglichkeit zur Verfügung gestanden haben, vor der Durchführung des Eingriffs eine ausdrückliche Einwilligung des Patienten einzuholen.

Sowohl das Vorliegen einer ausdrücklichen Einwilligung als auch das einer mutmaßlichen Einwilligung kann im Einzelfall zweifelhaft sein und damit Anlass für eine Rechtsstreitigkeit bieten.

Die Schadensermittlung bei Behandlungsfehlern

Der Fachanwalt für Medizinrecht ist dann mit der schwierigen Aufgabe betraut, den bei seinem Mandanten infolge einer fehlerhaften Behandlung eingetretenen Schaden zu beziffern.

Problematisch ist jedoch, dass die Folgewirkungen einer fehlerhaften Behandlung regelmäßig nicht vorhersehbar sind. Als Hilfestellung dient hierbei § 287 ZPO, der es dem Gericht gestattet, bei einer Streitigkeit in Bezug auf das Bestehen oder die Höhe einer Forderung, die auf einem Schadensereignis beruht, unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung zu entscheiden.

Der Fachanwalt muss daher keine konkrete Schadenssumme angeben, sondern genügt seinen anwaltlichen Pflichten, wenn er aufzeigt, dass ein Schaden entstanden ist und wonach die Höhe eines Ersatzes zu bemessen ist.

Weitere Tätigkeitsfelder im Medizinrecht

Neben dem Arzthaftungsrecht, das den Schwerpunkt der anwaltlichen Tätigkeit im Medizinrecht darstellt, umfasst es außerdem Aspekte des Transplantationsrechts, des Arzneimittelrechts oder etwa des Produkthaftungsrechts.

Den Tätigkeitsfeldern gemein ist, dass der Fachanwalt zwar keine fundierten medizinischen Kenntnisse aufweisen muss, jedoch sollte er die Bereitschaft mitbringen, sich mit medizinischen Fragen auseinanderzusetzen und stets die entsprechende Judikatur zu verfolgen.

Quelle BECK Stellenmarkt 24/2017