Die klassische juristische Ausbildung in Deutschland mit dem Ziel der Befähigung zum Richteramt hat aufgrund ihrer Breite und der gelehrten Stofffülle zwangsläufig zur Folge, dass einige Aspekte zu kurz kommen, die den Berufseinstieg in bestimmte juristische Berufe erleichtern würden.
Von besonderer Relevanz ist eine möglichst umfassende und praxisnahe Vorbereitung auf das Berufsleben natürlich für die Anwaltschaft – also denjenigen juristischen Berufsstand, der auch Absolventen in zahlreichen Fällen in die Selbstständigkeit führt.
Ein Berufseinsteiger, der eine Tätigkeit in einem Angestelltenverhältnis aufnimmt, wird von Vorgesetzten und gegebenenfalls Kollegen angelernt bzw. angeleitet, hat mindestens einen direkten Ansprechpartner und erhält gleichsam eine Fortsetzung der Berufsausbildung in Form eines Trainings on the job. Der selbstständige Berufsanfänger hingegen ist auf sich allein gestellt.
An dieser Stelle soll daher auf einige Punkte hingewiesen werden, die in dieser konkreten Situation hilfreich sind, denn gerade bei jungen Juristen ist ein Bewusstsein dafür nötig, dass eine zusätzliche Vorbereitung auf die praktischen Schwierigkeiten des Berufsalltags nottut. Zweifellos ist besondere Eigeninitiative gefragt, was den Berufseinstieg als selbständigen Anwalt betrifft. Es gibt beispielsweise professionelle Anbieter, die entsprechende Beratungen anbieten oder natürlich auch Literatur zum Thema, in denen sich die ein oder andere Anregung findet. Unbedingt empfehlenswert ist sicher auch ein intensiver Austausch mit erfahrenen Kollegen bzw. den ehemaligen Referendarsausbildern.
In jedem Falle sind die untenstehenden, exemplarisch erläuterten Punkte zu wichtig als dass man sich darauf verlassen könnte, man werde im Berufsalltag schon „irgendwie zurechtkommen“. Stattdessen sind einige konkrete Vorüberlegungen und -planungen anzustellen, bevor man tatsächlich startet.
Das zentrale Thema überhaupt ist natürlich die Frage: Wie gewinnt der frischgebackene Rechtsanwalt seine ersten Mandate? Diesbezüglich sollte sich der Absolvent ein Grundgerüst geeigneter Akquise- und Marketingmaßnahmen zulegen. Die potenzielle Mandantschaft muss schließlich zunächst einmal auf die Existenz und Expertise der neugegründeten Kanzlei aufmerksam gemacht werden. Diesbezüglich ist etwa zu bedenken, inwieweit das eigene Beratungsangebot sich von demjenigen der Wettbewerber abzuheben vermag (Vorhandensein von Unique Selling Points – USPs). Hierbei kann es sich z.B. um besondere Sprach-, Branchen- oder andere Kenntnisse handeln. Derartige Merkmale können die Anbahnung erster Mandatsbeziehungen unter Umständen merklich erleichtern, daher sind sie von vornherein in die Konzeption des Marktauftritts einzubeziehen.
Die Kanzlei sollte also innerhalb des Anwaltsmarktes klar positioniert werden. Unbedingt notwendig ist es – dies sollte für den Juristen selbstverständlich sein –, dabei den statthaften standes- und wettbewerbsrechtlichen Rahmen einzuhalten.
Mit dem vorstehenden Punkt eng zusammenhängend ist die Herausforderung der Pflege der erfolgreich akquirierten Mandatsbeziehungen (Client Management). Über die selbstredend anzustrebende bestmögliche Qualität der Beratung hinaus erfordert dies ein umsichtiges Handeln des Anwalts. Der junge Advokat muss sich bewusst machen, wie die Erwartungshaltung eines ratsuchenden Mandanten am besten befriedigt werden kann und welche typischen Fehler zu vermeiden sind. So sucht ein Mandant in der Regel keine tiefgreifenden wissenschaftlichen Ausführungen darüber, was alles weshalb problematisch sein könnte. Stattdessen verlangt er in erster Linie nach konkreten Lösungen der verständlich dargelegten Problemstellungen.
Hinsichtlich des Client Managements ist zwischen gewerblicher und privater Mandantschaft zu unterscheiden, die in ihrer Erwartungshaltung an den Rechtsberater teilweise erheblich voneinander abweichen. Private Mandanten haben in Ihrem Leben ansonsten eher selten mit juristischen Problemen zu tun, wohingegen die entsprechenden Ansprechpartner in Unternehmen – seien diese nun selbst Juristen oder nicht – zumindest in bestimmten, spezifischen Fragestellungen oftmals ziemlich versiert sind. Es ist daher ratsam, eine FAQ-Liste für die üblichen Fragestellungen und Einwände zu erstellen – auch, um sich selber auf diese vorzubereiten. Hierzu zählt auch der souveräne Umgang mit juristischem Halbwissen, mit dem sich Anwälte nicht selten konfrontiert sehen.
Auch die Bedeutung bestimmter Tools zur Mandantenbindung ist zu vergegenwärtigen. Geeignete Mittel könnten etwa Mandantenrundschreiben per E-Mail sein, welche beispielsweise über für den betreffenden Mandanten interessante Rechtsentwicklungen informieren.
Das heikle Thema der Mitarbeiterführung wiederum betrifft neben denjenigen Kollegen, die selbständig sind, ebenso diejenigen Anwälte, die zunächst ein Angestelltenverhältnis eingehen, aber später eine Partnerschaft in einer Sozietät anstreben. Bisher auch von großen und namhaften Wirtschaftskanzleien regelmäßig sträflich vernachlässigt birgt dieser Punkt großes Konfliktpotenzial. Üblicherweise ist das letztlich ausschlaggebende Kriterium für die Ernennung zum Partner die Akquisestärke bzw. der daraus resultierende Umsatz. Auf die in der überwiegenden Zahl der Fälle damit einhergehende Personalverantwortung für fachliche wie nichtfachliche Mitarbeiter werden die angehenden Partner dabei allerdings nicht vorbereitet. Typische Konfliktsituationen betreffen häufig das Über- und Unterordnungsverhältnis der Mitarbeiter und treten im Berufsalltag immer wieder auf. Keineswegs ist dabei der „gesunde Menschenverstand“ immer hinreichend, um solche Situationen zu meistern. Vor der Übernahme von Führungsverantwortung sollte daher unbedingt ein Coaching oder eine Schulung in Erwägung gezogen werden, um sich zumindest ansatzweise auf diese Herausforderungen vorzubereiten.
Stichwort Verhandlungstaktik: Dieser Punkt ist von höchster Relevanz sowohl bei Vertragsverhandlungen als auch bei Gerichtsverhandlungen. Neben den materiell- und prozessrechtlichen Rahmenbedingungen, die im Rahmen der juristischen Ausbildung nur in der Theorie behandelt werden, gibt es zahlreiche Tricks und Kniffe, die es zu beachten und typische Fallen, die es zu vermeiden gilt. Learning-by-doing kann sich hier nachhaltig negativ auf die Karriere eines jungen Anwalts bzw. die Etablierung einer neu gegründeten Kanzlei auswirken. Gerade in der Start-Up-Phase kann man sich gravierende Fehler nicht erlauben. Geradezu unerlässlich ist daher der intensive Austausch mit erfahrenen Berufskollegen. Man sollte sich nicht nur auf seine Intuition verlassen, sondern lieber zusätzlich um Rat fragen.
Fazit: Junge Rechtsanwälte mit dem Ziel der Selbstständigkeit sollten sich bewusst machen, dass das bestandene 2. Staatsexamen zwar zur Ausübung des Anwaltsberufs berechtigt, aber nicht zur Gänze als Berufsausbildung zu betrachten ist. Es ist und bleibt der Eigeninitiative des Einzelnen überlassen, sich selber zusätzlich so umfassend als möglich auf den Start in die Selbstständigkeit vorzubereiten.