Produktentwicklung für Anwälte - Anwaltlicher Kernprozess, Strategie und Möglichkeiten in der Praxis

von Liane Allmann, Inhaberin einer Agentur für strategische Kommunikation und Vertriebsmanagement für Anwälte mit Namen Kitty&Cie

Ein Kernprozess der anwaltlichen Tätigkeit besteht heute darin, Produkte – oder besser – anwaltliche (Dienst)Leistungen zu entwickeln. Diese Fähigkeit zur Produktentwicklung hängt dabei stark von dem Bewusstsein der Akteure ab, Anbieter einer Dienstleistung zu sein und der Bereitschaft, den ersten Schritt zum Mandanten zu tun. Damit nimmt der Anwalt nicht mehr die Position ein, lediglich Fragen von Mandanten zu beantworten, sondern er steuert aktiv auf Ziel-Mandanten zu und schafft Beratungsbedarf.

Strategie

Wie immer muss das anwaltliche Handeln geprägt sein von strategischen Überlegungen. Nur so ist eine Steuerung und eine Erfolgskontrolle möglich. Strategie ist nicht starr. Das vorweg.
Strategie sollte regelmäßig angeschaut, überprüft und neu justiert werden. Zu empfehlen ist, auch als Grundlage für die Produktentwicklung, regelmäßige Strategie-Meetings zu veranstalten und im Rahmen dessen gemeinsam mit Partnern (und eventuell auch Mitarbeitern) Fragen zu beantworten. Neben Fragen zur Mandantenzielgruppe (Wie sieht mein „idealer“ Mandant aus? Welche Unternehmen möchte ich erreichen? Strebe ich Dauerberatung oder Prozessarbeit an?) stellt sich schnell die Frage danach, mit welchen Produkten, Dienstleistungen und Angeboten ich meine Zielgruppe erreichen möchte. Die eigenen Angebote müssen das sein, was Kanzleien auch können. Mandatsbearbeitung nach dem Motto „eat what you kill“ bringt unter dem Strich weder Qualität noch Deckungsbeitrag rein und lässt alle Beteiligten unbefriedigt zurück.

In die strategische Überlegung der Kanzlei sollten Fragen für jeden einzelnen Geschäftsbereich einfließen. Dabei müssen die Überlegungen der Geschäftsbereiche sich in der Gesamtstrategie der Kanzlei wiederfinden.

Ansatzpunkte für die Leistungsentwicklung

Die Ansatzpunkte bei der Leistungsentwicklung für Anwälte sollten die aktuellen Lebensthemen der Unternehmen sein, die man im Fokus hat (wenn man als Zielgruppe Unternehmen definiert hat). Diese Unternehmen können Bestandsmandanten sein oder potentiell neue Mandanten. Dabei gilt, dass Angebote entwickelt werden müssen, bevor der Rechtsberatungsbedarf durch den Mandanten formuliert wird.
Abzuwarten, bis Mandanten kommen, weil ein Problem akut ist, hat nichts mit Strategie und Steuerung von Akquieseprozessen in der Kanzlei zu tun.

Praxis-Beispiel: Building Information Modelling (BIM)

Mit dem Stufenplan von Bundesminister Alexander Dobrindt aus dem Jahr 2015 ergeben sich für die Bau- und Immobilienwirtschaft völlig neue Herausforderungen. Welche das sind, lässt sich zum Teil aus dem Stufenplan selbst entnehmen. Das 15-Seitige Papier formuliert die Anforderungen für die Realisation von Bauprojekten der Zukunft. Der Minister formuliert, er wolle das digitale Bauen bundesweit zum Standard machen. Es besteht also Handlungsbedarf – der Minister meint es ernst.

Seit dem Stufenplan folgen Statements auf Statements – eine Sensibilisierung des Marktes erfolgt intensiv. Der Handlungsdruck steigt.
Aber was bedeutet das nun für Anwälte und für eine potentielle Produktentwicklung?

Zunächst ist es wichtig, die eigene Kompetenz auf verschiedenen Kanälen für die Zielgruppe sichtbar zu machen. Je früher im Vertriebsprozess der Mandant mit der Kompetenz einer Kanzlei glaubwürdig konfrontiert wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit einer späteren Beauftragung. Das hat eine mittelständische, deutsche Kanzlei mit einem starken Schwerpunkt im Baurecht trefflich verstanden und sehr früh ein Buch verfasst, das sich mit BIM und dem Verhältnis zur deutschen Rechtsprechung auseinandersetzt. Damit ist ein Grundrauschen der BIM-Kompetenz geschaffen.
Im zweiten Schritt wurden – von gleicher Kanzlei – auch Seminare angeboten. Hier besteht die hervorragende Möglichkeit, interdisziplinär zu agieren und mit einem Architekten beispielsweise aufzuklären und die eigene Beratungskompetenz praktisch zu untermauern. Seminare bieten eine hervorragende Möglichkeit, das eigene Leistungsversprechen (also das eigene „Produkt“) zu schärfen und anzupassen – gerade wenn es um „Produkte“ geht, die noch keinen praktischen, allgemeinen Bezug haben. In Seminaren trifft man die potentielle Zielgruppe, die zudem noch einen konkreten Informations-Bedarf (also Vorstufe zum Beratungsbedarf) mitbringt. Sie haben so bereits eine Zielgruppenselektion vorgenommen und können die Nähe nutzen, Herausforderungen detailliert zu erfragen. Seminare öffnen Türen, schaffen die Möglichkeit, den Anwalt sympathisch und fachlich kompetent zu präsentieren und kreieren Verbundenheit.

Konkrete Möglichkeiten

Wie kann man potentiellen Produkte früh finden, wie sie benennen und wie so platzieren, dass sie auch beim Mandanten ankommen?

Zunächst setzt eine sehr frühe Produktentwicklung ein starkes Interesse am eigenen Rechtsgebiet voraus und an den Entwicklungen des Marktes. Das hört sich trivial an – geht aber im Tagesgeschäft des Anwalts nicht selten unter. Das bedeutet nicht, dass sich der Anwalt mit Fachliteratur eindecken muss und sich selbst nur noch mit dem Studium von Aufsätzen blockieren sollte. Aber: Zumindest den Stufenplan (im BIM-Fall) hätte er sich am Tag der Veröffentlichung intensiv ansehen und daraufhin analysieren müssen, welche Anforderungen sich daraus für die eigenen Mandanten ergeben. Spätestens mit der Veröffentlichung befindet sich der Anwalt in einem echten Wettlauf – einem Wettlauf um Presseplatzierung, Mandantenansprache und Kompetenzpositionierung.

Sind diese Fragen gestellt und Antworten in der Diskussion mit Kollegen gefunden, sollten sie dem Mandanten informierend dargestellt werden. Bei Bestandsmandanten geht das im persönlichen Anschreiben – für potentielle neue Mandanten empfiehlt sich eine sehr gute Präsentation zum Beispiel im Internet und ein regelmäßiges Erscheinen in der Presse sowie als Referent auf einschlägigen Veranstaltungen.

Für die eigene Leistungsentwicklung ist es wichtig, über die Bedürfnisse des Mandanten regelmäßig mit ihm im Kontakt zu stehen und aktiv zu kommunizieren.
Wer es richtig und gut macht, vermittelt bereits in diesen Vorbereitungsgesprächen mit Mandanten, dass man der geeignete Ansprechpartner ist. Dafür allerdings ist eine belastbare Grundkenntnis Voraussetzung. Sie erweisen sich einen Bärendienst, wenn Sie in einem zu frühen Stadium, also mit zu wenig Kenntnis den Mandanten interessieren, da jede weitere Nachfrage des Mandanten und ihre unbefriedigende Antwort im Zweifel in Verunsicherung mündet.

Fazit

Abstrakt formuliert ist Produktentwicklung für Kanzleien die Entwicklung eines detaillierten Leistungsversprechens, das den (potentiellen) Rechtsberatungsbedarf des Mandanten bedient. Diese „Produktentwicklung“ ist eine zentrale, unternehmerische Aufgabe, die Marktbeobachtung und eine rasche Reaktionsgeschwindigkeit voraussetzt. Zudem setzt erfolgreiche Produktentwicklung Sensibilität für das Business des Mandanten und Dialog mit dem Mandanten voraus sowie die Bereitschaft zum Perspektivwechsel.

Gute Produkte sind die, die konkret (also auch für den Mandanten verbindlich) und vom Mandanten als hilfreich für die Realisation des eigenen Erfolgs empfunden werden. Es reicht nicht auszuformulieren „Wir beraten in allen Fragen des Bau- und Immobilienwirtschaftsrechts“. Gut wäre „Wir erstellen BIM-fähige Verträge für die Bau- und Immobilienwirtschaft.“

www.kitty-cie.de/

Quelle BECK Stellenmarkt 15/2017 (ungekürzte Vorabveröffentlichung)