Die Vereinfachung komplexer Arbeitsprozesse durch Digitalisierung

von Peter Schmid, Mit-Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Devatax GmbH, Passau, und Michael Kozikowski, geschäftsführender Gesellschafter der fiduCon GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, München.

Auch wenn Sie es vielleicht nicht wahrhaben wollen: Steuerberater sind zwar hochgefragte und -geschätzte Anbieter von steuerlichem Fachwissen, Ihre „Produktionsabläufe“ bewegen sich jedoch – zumindest im Vergleich zu Ihren Mandanten – auf einem vergleichsweise archaischen Niveau. Geschützt durch ein überreguliertes und kaum mehr zu überblickendes Steuersystem verwalten Sie Ihr Expertenwissen und dies zu vergleichsweise mehr als auskömmlichen Margen. Natürlich spüren Steuerberater – wie alle freien Berufe – den zunehmenden Wettbewerb. Aber könnten Sie in einem Wettbewerbsumfeld bestehen, in dem eine Umsatzrendite von 2 Prozent (Lebensmittelhandel), Rüstzeiten von wenigen Sekunden (Metallindustrie) oder unternehmensübergreifendes Workflow-Management (Industrie 4.0) schon heute Industriestandard sind? Man mag einwenden, dass für Wissensanbieter das alles nicht gelten mag. Das Beispiel IBM und seine Expertensoftware WATSON u. a. für medizinische Beratung lehrt uns eines Besseren. Ihre Branche steht vor einem disruptiven Veränderungsprozess und längst nicht alle werden bestehen können. Bereits jetzt gibt es Steuerkanzleien, die das steuerliche Compliance-Geschäft für unter 50 EUR/Monat anbieten und dabei trotzdem hochprofitabel sind. Und gerade hierin liegt für mittelständische Praxen eine vielleicht historische Chance. Während große Beratungskonzerne mit erheblichen Fixkostenremanenzen zu kämpfen haben werden, liegen die reinen Betriebskosten für hochsichere, mehrfach redundante und allen Anforderungen der Finanzverwaltung gerecht werdende Rechenzentren schon jetzt bei unter 5.000 EUR/ Monat pro 20.000 Nutzer. Allerdings sind die Kosten für die eigentliche Softwareentwicklung von einer einzelnen Kanzlei kaum finanzierbar. Und hierin liegt die eigentliche Herausforderung für kleine und mittlere Kanzleien: Nämlich die eigenen Geschäftsprozesse zunächst soweit wie möglich zu standardisieren und hierfür dann am Markt verfügbare Softwarelösungen für deren Digitalisierung einzusetzen.

Welche Arbeitsprozesse in einer Steuerkanzlei eignen sich nun besonders für ihre Digitalisierung? Es sind dies zunächst – und zugegeben etwas pointiert formuliert – all diejenigen Arbeitsläufe, für die Ihre Kunden nicht gesondert zahlen würden, wenn sie deren innerbetrieblichen Ablauf in ihren Kanzleien kennen würden. Dann aber auch – und hier liegen nach unseren Erfahrungen die größten Einsparpotentiale – all diejenigen Arbeitsprozesse, die in irgendeiner Weise die Kommunikation und Koordination mit mehreren Beteiligten erfordern. Intelligente Software bildet derartige Prozesse plattformunabhängig nahezu maßgeschneidert ab. Der Anwender braucht dabei nicht über umfangeiche Programmierkenntnisse zu verfügen, wohl aber muss er seine eigenen Prozesse genau beschreiben können. Konkret angesprochen sind damit Arbeitsprozesse in den Bereichen Personalmanagement (z. B. Anstellung, Kündigung), Finanzen (z. B. Eigenbelege, Rechnungskorrektur), Geschäftsbücher (insbes. Kassenbuch, Arbeitszeitenerfassung) und das gesamte Datenmanagement (Datenhaltung und -austausch). Intelligente Software bildet diese Prozesse unter Einbeziehung des Mandanten, seiner Geschäftspartner und z. B. auch der Sozialversicherungsträger als „elektronischen Pendelordner“ ab und bietet als Output hochsichere Schnittstellen zu gängigen Anbietern von Deklarations- und Rechnungswesensoftware. Wenn diese intelligente Software für unterschiedlichste Betriebssysteme der Mandanten plattformunabhängig und als Cloud-Lösung zur Verfügung steht, lassen sich nach unserer Erfahrung Zeit- und Kostenersparnisse von rund 80 Prozent erzielen.

Gerade aufgrund dieses hohen Innovations- und Effizienzgehalts der digitalen Zusammenarbeit ist diese zur Überwindung der gegebenenfalls typischen Abwehrhaltung Neuem gegenüber sowohl in der eigenen Kanzlei als auch auf Mandantenebene strategisch zu planen. Zu Test- und Lernzwecken eignet sich die Auswahl einer Untergruppe von technologieaffinen Mandanten, insbesondere auch Neumandanten. Damit wird der Vertrauensgrundstock der eigenen Mitarbeiter in neue Arbeitsweisen und Formen der Zusammenarbeit gelegt und zudem der für die Kanzlei optimale Organisationsrahmen gefunden.

In einem zweiten Schritt sind die Mandanten nach unseren Erfahrungen systematisch auf Basis einer Checkliste auf ihre Digitalisierungsfähigkeit zu bewerten. Kriterien können dabei die vom Mandanten präferierten Kommunikationskanäle (Brief, Fax, E-Mail, SMS, Instant Messaging wie WhatsApp oder Skype, Online-Portale), die Art der Grundaufzeichnungen (Papier, Excel, Software), die Art der Rechnungsstellung („per Hand“, mit Word, Software) und die Art des Zahlungsverkehrs („per Hand“, Online- Banking, Software) sein. Auf Basis eines daraus resultierenden Scores empfiehlt es sich, das erste Drittel der Mandanten nachhaltig und angepasst auf deren individuelle Bedürfnisse innerhalb eines halben Jahres zu digitalisieren.

Der größere Teil der Mandanten, der erfahrungsgemäß ungefähr 50 bis 60 Prozent der gesamten Mandanten entspricht, ist bei nachweisbarem Erfolg beim ersten Drittel zu überzeugen. Dabei wird die Initiative auch vermehrt von den Mitarbeitern ausgehen, die die Vorteile der digitalen Zusammenarbeit schätzen gelernt haben und sich eine Umstellung auch beim Gros der Mandanten wünschen. Schließlich werden aber auch 10 Prozent der Mandanten verbleiben, bei denen aus verschiedenen Gründen die analoge Zusammenarbeit das Mittel der Wahl bleibt.

Fazit

Der Beruf des Steuerberaters steht damit vor einer großen Herausforderung: Letztlich eignet sich Ihr Tätigkeitsfeld wie kaum ein anderes für volldigitale Expertensysteme. Damit würde auch die bisher von Standardisierung und Digitalisierung eher „verschont“ gebliebene Gestaltungsberatung zumindest teilweise industrialisierbar.

In Summe gehen wir deswegen keinesfalls davon aus, dass der Beruf und das Tätigkeitsfeld des Steuerberaters durch die Digitalisierung bedroht ist. Entsprechende Meinungen, die sich auf die Oxford-Studie1 berufen und eine Überlebungswahrscheinlichkeit von lediglich 2 Prozent für den Beruf des Steuerberaters sehen, beruhen schlicht auf Übersetzungsfehlern. Allerdings werden die in der Studie genannten Tätigkeiten, die sich für eine Industrialisierung eignen, weniger menschlichen Input erfordern und ihre intelligente Digitalisierung entscheidend für die Zukunftsfähigkeit einzelner Steuerkanzleien sein.

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1 vgl. Frey, C. B. – Osborne, M. A. (2013). The Future of Employment: Howsuspectible are jobs to computerization? Oxford Martin Programme on Technology and Employment

Quelle DStR 41/2016