Verfahrensbeschleunigung im Rückwärtsgang

von RA Wolfgang Jacobs, Geschäftsführer des Bundesverbandes öffentlich bestellter und vereidigter sowie qualifizierter Sachverständiger – BVS, Berlin

Da hat sich der Gesetzgeber etwas Tolles einfallen lassen. Weil nach Auffassung der in ihrer zeitlichen Endphase befindlichen derzeitigen Regierungskoalition in Einzelbereichen des gerichtlichen Sachverständigenwesens Defizite bestehen, wurde vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Mai 2015 der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes, der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und des Gerichtskostengesetzes vorgelegt. Damit sollten drei Ziele gleichzeitig erreicht werden: Eine Qualifikationsverbesserung der für Gerichte tätigen Sachverständigen, eine Erhöhung der Qualität der von ihnen erstellten Gutachten sowie eine zeitliche Verkürzung der als zu lang empfundenen Verfahrensdauer.

Ob die gewählten Mittel mit dem nunmehr am 16.10.2016 in Kraft getretenen Gesetz geeignet sind, dem bereits im Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode genannten rechtspolitischen Handlungsbedarf Genüge zu tun, und insbesondere die in Fachkreisen und in den Medien verstärkt geäußerte Kritik an mangelhaften Gutachten, vor allem in familiengerichtlichen Verfahren abzustellen, bedarf einer kritischen Betrachtung. Im Einzelnen ging es darum, dass auf Grund der geäußerten Kritik an mangelhaften Gutachten in familienrechtlichen Sachen und bei medizinischen Fragestellungen das Problem hauptsächlich in der unzureichenden Qualifikation der herangezogenen Sachverständigen gesehen wurde. Weiterhin wurde grundsätzlich bemängelt, dass die Gerichtsverfahren zu lange dauern, insbesondere dann, wenn ein oder mehrere Sachverständigengutachten zur Entscheidungsfindung benötigt werden.

Der dann vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz zur Änderung des Sachverständigenrechts am 29.05.2015 vorgelegte Referentenentwurf betraf im Wesentlichen vier Punkte, die alle von den Gerichten zur Gutachtenerstattung herangezogene Sachverständige behandeln. Dabei geht es im Einzelnen um die

– obligatorische Anhörung der Parteien vor der Beauftragung des Sachverständigen,

– die Pflicht des Sachverständigen zur unverzüglichen Prüfung und Mitteilung von Interessenskonflikten und Verzögerungen,

– die obligatorische Fristsetzung zur Erstattung von Sachverständigengutachten und

– die regelmäßige Festsetzung von Ordnungsgeldern gegen den Sachverständigen bei Fristversäumnis.

Eine Anhörung der Parteien vor der Beauftragung eines Sachverständigen war und ist nichts Neues. Diese war bereits vor dem Inkrafttreten der neuen gesetzlichen Regelung vielfach geübte gerichtliche Praxis. Denn im Interesse eines unter zeitlichen wie auch inhaltlichen Gesichtspunkten effizient zu führenden Verfahrens haben Gerichte nach Möglichkeit mit den streitenden Parteien bei der Sachverständigenauswahl eine einvernehmliche Lösung gesucht. Ein Gericht wird nur im Ausnahmefall gegen den Willen der einen oder möglicherweise beiden Prozessparteien einen bestimmtem Sachverständigen „durchdrücken“. In einem solchen Fall kann es gewiss sein, dass mit verfahrenstaktisch motivierten Anträgen dagegen vorgegangen werden wird, was den Fortgang der gerichtlichen Auseinandersetzung ent- und nicht beschleunigt. Ob denn unter diesem Gesichtspunkt eine obligatorische Anhörung der Prozessparteien vor der Beauftragung des Sachverständigen den gewünschten Zweck herbeiführen würde, wurde daher nicht nur von den beteiligten Verbänden, sondern insbesondere auch in der Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages zu Recht in Zweifel gezogen. Die Folge davon war, dass aus dem ursprünglichen „Muss“ nun im neuen § 404 Absatz 2 ZPO ein „Kann“ geworden ist. Hier haben sich vernünftigerweise die Argumente aus der Richterschaft durchgesetzt. Gerade bei den Familiengerichten ist die Sachverständigenauswahl ein heißes Thema; wird doch ein Vorschlag von der einen Partei oftmals von der anderen sofort in Bausch und Bogen abgelehnt. Die obligatorische Einbindung der Parteien bereits im Vorfeld der Sachverständigenernennung hätte daher in hohem Maße nicht zu einer Verfahrensbeschleunigung beigetragen.

Eine Pflicht des Sachverständigen zur unverzüglichen Prüfung und Mitteilung von Interessenskonflikten und möglicherweise verfahrensverzögernder anderer Anlässe, wie sie nun in § 407a, Absatz 2 ZPO normiert wurde, stellt auch kein Novum dar. Jede oder jeder auch nur halbwegs regelmäßig für Gerichte tätige Sachverständige – und erst recht öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige – wissen, dass sie bereits unmittelbar dieser Prüfungspflicht nach ihrer Heranziehung zur gerichtlichen Sachverständigentätigkeit nachzukommen haben, bevor sie in die Gutachtenerstattung einsteigen. Mit dieser Ergänzung der genannten Vorschrift wird daher auch nichts beschleunigt.

Die bisherige gerichtliche Praxis, dem Sachverständigen einen Zeitraum oder sogar einen Abgabetermin für das benötigte Gutachten vorzugeben, nun mit einer entsprechenden Ergänzung in § 407a, Absatz 1 ZPO zu verschärfen, wonach dem Sachverständigen zwingend eine Frist zu setzen ist, mag zwar im Einzelfall den einen oder anderen dazu bewegen, zügiger das von ihm erwartete Gutachten zu erstatten. Doch auch dies stellt keine bahnbrechende Neuerung dar. Gerade hauptberuflich tätige Sachverständige werden von sich aus immer einen engen Kontakt zum Gericht halten und dieses darauf hinweisen, wenn gesetzte Fristen nicht eingehalten werden können.

Aber auch hier ist immer die Frage danach zu stellen, was für die Nichteinhaltung einer Frist ursächlich ist. Es kann in der Tat sein, dass der Sachverständige sein Büro organisatorisch nicht im Griff hat. Die Ursachen können aber auch mit einer hohen Arbeitsauslastung des Sachverständigen durch anderweitige Gerichts- oder private Gutachtenaufträge zusammenhängen. Es können aber auch die bereits genannten Prozessbeteiligten sein, deren Interesse gerade nicht darauf gerichtet ist, dem Sachverständigen mit der Herausgabe von zur Gutachtenerstattung benötigter Unterlagen, der Bereitschaft zur Teilnahme an vom Sachverständigen angesetzten Orts- und Begutachtungsterminen oder aus vielen anderen Gründen zuzuarbeiten, damit dieser das Gutachten möglichst schnell erstatten kann.

Ob nun tatsächlich ein Gericht in der Lage ist, unter den genannten Voraussetzungen und insbesondere vor einer entsprechenden Abstimmung mit dem vom Gericht herangezogenen Sachverständigen den für die Gutachtenerstattung erforderlichen Zeitaufwand richtig einzuschätzen, ist ebenfalls zu bezweifeln. Es ist eher zu vermuten, dass die Praxis dazu führen wird, dass der dann herangezogene Sachverständige nach zunächst überschlägiger Schätzung des für die Gutachtenerstattung erforderlichen Zeitaufwands allein schon aus Sicherheitsgründen einen entsprechenden Antrag auf Verlängerung der gerichtlicherseits festgesetzten Frist stellen wird.

Ob denn ein unter den beschriebenen Umständen „kämpfender“ Sachverständiger sich durch eine Heraufsetzung des ihm drohenden Ordnungsgeldes auf das bis zu Dreifache (ursprünglich war im Referentenentwurf von einer Verfünfachung die Rede) dazu anhalten lässt, das vom Gericht benötigte Gutachten schneller zu erstatten, darf erheblich bezweifelt werden. Was allenfalls damit erreicht werden könnte, wäre die frühzeitige Information des Gerichts von Seiten des Sachverständigen über Umstände, die ihn daran hindern, das Gutachten in der gesetzten Frist zu fertigen. Inwieweit dies der beabsichtigten Verfahrensbeschleunigung im nennenswerten Rahmen dienlich ist, muss sich in der Praxis erst noch herausstellen.

Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige können den vom Gesetzgeber nunmehr mit Wirkung zum 16.10.2016 in der Zivilprozessordnung vorgenommenen Verschärfungen der Vorschriften zum Sachverständigenbeweis entgegensehen, ohne in Unruhe zu verfallen. Diese Änderungen betreffen Pflichten, die ihnen bereits durch ihre jeweiligen Bestellungskörperschaften auferlegt wurden. Das ändert aber nichts daran, dass das vom Gesetzgeber mit der Neuordnung des Sachverständigenrechts bezweckte Ziel einer Verfahrensbeschleunigung wohl kaum eintreten wird.

Der Bundesverband öffentlich bestellter und vereidigter sowie qualifizierter Sachverständiger - BVS hat bereits vor Jahren dem Bundesgesundheitsminister und dem Bundesjustizminister schriftlich vorgeschlagen, für die im Bereich der Medizin, der Psychologie und der Psychiatrie tätigen Sachverständigen ein System zur Qualitätssicherung einzuführen, wie es im Bereich der Wirtschaft und des Handwerks mit der Öffentlichen Bestellung und Vereidigung von Sachverständigen besteht. Er hat dies umfangreich und nachvollziehbar begründet; beide Ministerien haben diesen Vorschlag positiv beurteilt. Durch die Einführung eines Bestellungssystems für Sachverständige in den genannten Bereichen würden gerade im Hinblick auf die vom Gesetzgeber genannte Zielrichtung eine Verbesserung der Gutachtenqualität und der Sachverständigenqualifikation in familiengerichtlichen Verfahren erzielt. Nicht die Gerichte müssten sich dann mit der Frage auseinandersetzen, ob die von ihnen herangezogenen Sachverständigen über eine entsprechende fachliche Qualifikation, persönliche Geeignetheit und erforderliche Unabhängigkeit bei der Auftragserstattung verfügen. Dies wäre dann eine Aufgabe entsprechender Bestellungskörperschaften, die in den Bereichen der jeweiligen Berufskammern und berufsständischen Vertretungen in gleicher Weise einzurichten wären, wie sie im Bereich der Wirtschaft und des Handwerks bereits seit mehr als hundert Jahren bestehen und erfolgreich arbeiten.

Auch wenn die Europäische Kommission das Bestreben hat, über Berufsanerkennungsrichtlinien und europaweit geltende Dienstleistungskarten bestehende nationale Regelungen über einen Kamm zu scheren, gehört die Schaffung und der Aufbau eines Qualitätssicherungssystems für Sachverständige im Bereich der Medizin, der Psychologie und der Psychiatrie in den Aufgabenbereich beruflicher Selbstverwaltung. Denn hier kann mit dem notwendigen fachlichen Hintergrund am besten geprüft und entschieden werden, wer die Kriterien erfüllt als Sachverständiger Gutachten erstatten zu können.

Aber, ebenso wenig wie jeder gute Ingenieur oder jede qualifizierte Handwerksmeisterin zwingend auch gute Sachverständige sind, gilt dies für die Angehörigen aus den Berufsgruppen der Medizin, der Psychologie und der Psychiatrie in gleicher Weise. Auch wenn es bei diesen Berufsgruppen üblich ist, dass jeder und jede als Sachverständige oder Gutachterin tätig werden kann, ohne dass – wie beim System der Öffentlichen Bestellung und Vereidigung von Sachverständigen – die erforderlichen Kriterien umfassend abgeprüft und auch deren Einhaltung dauerhaft sichergestellt werden. Ein Umdenken wäre wünschenswert.

Quelle NJW 14/2017