Cooperative Praxis: Wertschätzend verhandeln und Konflikte in Handlungsstärke verwandeln

Liane Frank und Sylvette Westendorp im Gespräch mit Susanne Kleiner

Die Streitkultur wandelt sich. Damit wird der Ruf vieler Mandanten lauter, den Rechtsweg zu meiden. Hier setzt die Cooperative Praxis an, die auf einem wertschätzenden Miteinander basiert und auf effiziente Abläufe baut.

Liane Frank und Sylvette Westendorp wenden dieses außergerichtliche Verfahren an, um Konflikte in Familienangelegenheiten zu lösen. Im Gespräch mit Susanne Kleiner informieren die Münchner Fachanwältinnen für Familienrecht über Hintergründe und Vorteile einer Methode, die das Berufsbild des Anwalts zukunftsweisend erweitert.

Was hat es mit der Cooperativen Praxis auf sich?

Liane Frank: Seit 2007 hat mit der Cooperativen Praxis, kurz: CP, in Deutschland ein neues Konfliktlösungsmodell Einzug gehalten. Der Amerikaner Stuart G. Webb hat Anfang 1990 dieses Verfahren als „Collaborative Law“ in den USA salonfähig gemacht, heute verbreitet als „Collaborative Practice“.

Die Erfolgsrate dieser im Verfahrensaufbau mediationsanalogen Methode ist hoch. Anders als bei der Mediation wird hier jeder Klient einseitig parteilich beraten.

Was macht das Verfahren in der Praxis erfolgreich?

Sylvette Westendorp: Die Cooperative Praxis basiert auf einem wertschätzenden Miteinander. Im Gegensatz zur Mediation ist neben den Rechtsanwälten in der Regel ein neutraler Coach dabei, was sehr oft für den Erfolg steht; auch wenn das kein Muss ist. Es hat sich bewährt, die Betroffenen mental und emotional zu unterstützen. Viele nehmen dieses Angebot dankbar an.

Und: Das CP-Verfahren setzt auf unbürokratische, effiziente Abläufe: Es wird mündlich verhandelt. Aktenberge sind tabu. Also gibt es keine destruktiven Schreiben oder Schriftsätze, Protokolle zu den Sitzungen, notwendige Belege und Berechnungen allerdings schon.

Hinzu kommt: Die Klienten entbinden die Anwälte und den Coach von der Schweigepflicht untereinander. Damit erzielen sie eine direkte und zeitschonende Kommunikation auf der Verfahrensebene. Ihre Lösung erarbeiten die Klienten eigenverantwortlich selbst. Die Anwälte unterstützen jeweils dabei. Die interdisziplinäre Teamarbeit erleichtert es den Mandanten, tragfähige Ergebnisse zu entwickeln, die beide Seiten akzeptieren. Die Betroffenen nehmen ihre Zukunft selbst in die Hand, anstatt sich einem Gerichtsurteil unterzuordnen.

Das klingt nach guten Erfolgsaussichten. Das Risiko, dass die Verhandlungen scheitern, besteht doch trotzdem. Was dann?

Sylvette Westendorp: Im CP-Verfahren ist das Ziel zentral, eine Einigung außergerichtlich zu erarbeiten. Das ist richtungsweisend. Das Drohschwert einer „Klage“ fällt hier bewusst weg. Scheitern die Verhandlungen, sind somit die CP-Anwälte nicht mehr befugt, ihre Mandanten vor Gericht zu vertreten. Mit der Folge, dass sich beide Parteien neue Anwälte suchen müssten.

Daher haben alle CP-Beteiligten den ernsthaften Willen, interessengerecht und konsensorientiert zusammenzuarbeiten, was zu dem großen Erfolg von CP beiträgt. Zudem bleiben bei einer Einigung die CP-Anwälte berechtigt, ihre Mandanten in einem einvernehmlichen Scheidungsverfahren zu vertreten; auch dann, wenn der Versorgungsausgleich nach Gesetz gerichtlich durchgeführt wird.

Warum gewinnt Coaching sogar in juristischen Auseinandersetzungen an Bedeutung?

Liane Frank: Wir leben in einer dynamischen Zeit. Stress und psychischer Druck sind quasi normal. Inzwischen ist Coaching privat und beruflich anerkannt, um Ressourcen zu stärken und neue Perspektiven zu erschließen.

Immer mehr Unternehmen lassen ihre Mitarbeiter coachen. Menschen verstehen besser, wie bedeutend es ist, gut für sich zu sorgen. Das, was wirklich wichtig ist im Leben, rückt in das Bewusstsein. Dann ist klar: Jahrelanger Streit ist vergeudete Lebensenergie. Streiten vor Gericht geht am Leben, besser: an zukunftsfähigen Lebensmodellen, vorbei. Die Bedürfnisse und Interessen der Beteiligten - in Scheidungen allen voran die der Kinder - bleiben oft auf der Strecke.

Was haben Anwälte davon, sich als CP-Anwalt zu qualifizieren und aktiv zu werden?

Liane Frank: Die Streitkultur wandelt sich spürbar. Der Markt definiert Erfolgskriterien für die Rechtsberatung neu. Professionelle Juristen verstehen sich als mandantennahe Partner, die längst nicht mehr um des Streitens willen streiten.

Während wir Anwälte früher als Vertreter der Mandanten vor Gericht agiert haben, sind wir heute eher als flexible Berater und lebensnahe Konfliktmanager gefragt.

Und: Cooperative Praxis gestaltet sich wesentlich ermutigender als uferlose Gerichtsprozesse. Das ist die menschliche Komponente. Die fachliche Seite ist: CP-Anwälte agieren im Gegensatz zur Mediation als einseitige Interessenvertreter und klären entsprechend über die Rechtslage auf, was von vielen Mandanten bevorzugt wird.

Das heißt, ihre anwaltliche Kompetenz ist nach wie vor gefragt, bewegt sich jedoch in einem konstruktiven Feld. Auch wirtschaftlich ist CP attraktiv. Die Anwälte arbeiten nach individuellen Stundensätzen und vereinbaren in der Regel eine Einigungsgebühr für den Erfolgsfall.

Die Qualifikation zum CP-Anwalt avanciert also zum Wettbewerbsvorteil. Das Ziel vieler Mandanten, ihre Beziehungen trotz Konflikten zu erhalten, rückt immer stärker in den Fokus - bei Trennungen und Scheidungen genauso wie bei Gesellschaftsrechtsstreitigkeiten, Unternehmensnachfolgen, Erbschaftsdisputen und bei Konflikten in Unternehmen und Organisationen.

Über die Interviewpartnerinnen:

Liane Frank
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Familienrecht in München,
Mediatorin (IMS) und in Collaborative Practice/Law als
Anwältin und Coach qualifiziert, zudem 1. Vorstand
des Münchner Netzwerkes für Cooperative Praxis (MNCP)
und Vorstandsmitglied des Vereins pro cp e.V.

www.recht-und-familie.de

www.cooperative-praxis.de

Sylvette Westendorp
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Familienrecht in München,
Mediatorin und zertifizierte Cooperative-Praxis-Rechtsanwältin

www.kanzlei-westendorp.de

Susanne Kleiner
freie PR-Beraterin, Texterin, Journalistin
und Mediatorin, München

www.susanne-kleiner.de

www.trainings-workshops-seminare.de

Quelle BECK Stellenmarkt 5/2019