Rechtsanwältin, Wirtschaftsredakteurin und Business Coach (IHK) Dr. Anette Hartung über Coachingphasen im juristischen Arbeitsalltag
Frau Dr. Hartung, beim Wort Coaching zucke ich als Entscheidungsträger erst einmal zusammen. Schubsen Sie mich auf die Couch und entziehen mir die Kontrolle?
Nein, ganz im Gegenteil – ich hole Sie aus Ihrer Komfortzone heraus, und dann machen wir eine Art strikt vertrauliches Personal Training. Am besten stellen Sie sich das so vor: Wie geröllhaltig unser juristischer Arbeitsalltag zuweilen ist, wissen wir ja nun alle. Gleichzeitig haben wir uns das Terrain selbst ausgesucht. Wir alle wollten lieber Bergwanderer als Strandurlauber werden. Aber manchmal kommen wir an Weggabelungen, an denen wir unversehens auf den Holzweg zu geraten. Oder wir trauen den aktuellen Witterungsverhältnissen nicht. In dieser Situation gehe ich als eine Art Bergführerin eine Weile lang neben Ihnen her und unterstütze Sie bei Ihrer Entscheidung, ob Sie lieber den direkten, aber steilen, oder eher den geröllärmeren, aber breiter getretenen Pfad nehmen sollten. Dadurch gelangen Sie leichter und besser ans Ziel. Und können Ihre Bergwanderung, falls Sie sie nicht abbrechen wollen, auch wieder besser genießen.
Was bedeutet denn das im juristischen Alltag?
Vordergründig geht es oft um Verständigungsprobleme, um die vermeintliche Sturheit, Unzuverlässigkeit oder Überheblichkeit von Arbeitspartnern in der Kanzlei, bei Gericht, beim Mandanten. Seit einigen Jahren kommen Schwierigkeiten mit Nachwuchskräften hinzu, die einfach nicht mehr so arbeiten wollen, wie man es selbst zur Erfüllung seines „Generationenvertrags“ getan hat. Wenn man näher hinschaut, stehen hinter vielen Organisationsthemen dann Wertekonflikte: Der eine legt besonderen Wert auf Kollegialität und Anerkennung, die andere sucht im Juristenberuf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Das erzeugt Druck und Reibungskonflikte. Dazu muss der Gecoachte, der „Coachee“, seine ganz eigene Haltung finden und einnehmen.
Wie unterstützen Sie diesen Erkenntnisprozess?
Seriöses, zertifiziertes Business Coaching ist wie die eigentliche Juristerei in vielerlei Hinsicht ein standardisiertes Verfahren, fast eine Art Kunsthandwerk. Als Coach lernen Sie, auf eine bestimmte Weise Fragen zu stellen, die beim Gegenüber Erkenntnisprozesse fördern. Dazu gibt es einen ganzen Kanon an Verfahrensweisen und Methoden. Ein guter Coach hakt immer wieder nach, und er oder sie begnügt sich nicht mit ausweichenden Antworten. Stattdessen gelingt es ihm, „die Geschichte hinter der Geschichte zu erkennen“. Mir selbst kommen dabei auch zwei Jahrzehnte Redakteurserfahrung zu Hilfe. Allerdings gebe ich als Coach anders als in meiner Anwaltseigenschaft keine Empfehlungen ab.
Worin besteht für die Gecoachten dann der praktische Nutzen?
Einer der Leitsätze des Coachings lautet: „Clarity Equals Power“. Wenn Ihnen erst einmal (wieder) klar geworden ist, warum und wofür sie sich auf Ihre juristische Bergwanderung begeben haben, welche Gipfel sie unbedingt ansteuern und welche Aussicht sie genießen wollen, aber auch, welche Hütte sie eigentlich nicht (mehr) reizt, setzt das enorme Energien frei. Gleichzeitig erkennen Sie jetzt viel besser, wie viele Kollegen und Mandanten nicht gegen Sie anrennen, sondern schlicht auf anderen Pfaden wandeln. Vor diesem Hintergrund können Sie Konflikte ganz anders angehen und teilen auch Ihre Kräfte besser ein.
Und wenn ich entdecke, dass mir im juristischen Alltag meine zentralen Werte und Ideale tatsächlich verloren gegangen sind?
Dann haben Sie jetzt einen greifbaren Erklärungsansatz für Ihre berufliche Unzufriedenheit. Wenn Sie längere Zeit gegen Ihre eigenen Wertvorstellungen handeln, riskieren Sie nicht nur Ihre Motivation, sondern letztlich Ihre (frei-)berufliche Existenz, bis hin zur Gesundheit. Jetzt wissen Sie, dass Sie handeln müssen: Wie verhelfen Sie Ihren zentralen Motivatoren wieder stärker zur Geltung? Was bedeutet das in der Praxis? Wer kann Sie auf Ihrem neuen Weg unterstützen?
Sind wechselwillige Juristen Ihre wichtigste Mandantengruppe?
Das sollte man denken, es ist aber nicht unbedingt der Fall. Natürlich ist die Bereitschaft, über Veränderungen nachzudenken, eine zentrale Voraussetzung für ein erfolgreiches Coaching. Unter dem Strich ist das aber wie mit der strategischen Kanzleientwicklung insgesamt: Damit Sie z.B. am Markt, bei Ihren Mandanten, beim Nachwuchs, gegenüber den Prozessparteien erfolgreich auftreten können, müssen Sie
1. wissen, wer Sie sind. Sie müssen aber auch
2. verstehen, wer Sie sein können.
3. sollten Sie unbedingt auch realisieren, wer Sie sein möchten.
Das arbeiten wir in einer überschaubaren Zahl von Sitzungen gemeinsam heraus. Im Finanzbereich ist der „Schweizer Coach“, der die „Trittsicherheit im Geröll“ erhöht, mittlerweile geradezu ein Statussymbol. Auch Juristinnen und Juristen denken hier langsam, aber sicher um.
Die Fragen stellte Rechtsanwalt Dr. Jochen Brandhoff, Brandhoff Obermüller Partner, Frankfurt am Main