Stressfaktor Referendariat - Strategien und Tipps für den Alltag

von Susanne Winkelmann

Gefühlt haben Sie Ihr erstes Staatsexamen erst gestern geschrieben. Ihre Referendariatszeit beginnt und schon sind Sie wieder mittendrin in der nächsten Prüfungsvorbereitung. Widerstände regen sich in Ihnen. Ihre Stimmung bewegt sich Richtung Null-Punkt. Sie konnten sich noch gar nicht richtig vom letzten Prüfungsstress erholen und würden am liebsten die Vorbereitung noch etwas hinausschieben. Doch die Zeit läuft und die Folgen der »Aufschieberitis« sind Ihnen noch gut in Erinnerung … Sie wissen, das schlechte Gewissen schaltet sich spätestens nachts ein, wenn Sie im Bett liegen.

Zeitmanagement

Das Lernen für die juristischen Staatsexamina gleicht einem Marathonlauf. Wenn Sie sich ständig auspowern, gehen Sie womöglich auf allen Vieren ins Staatsexamen und können dann Ihre volle Leistung nicht mehr abrufen. Insbesondere während der Referendariatszeit sind die Herausforderungen noch höher als im Studium. Die Komplexität und Stofffülle steigen. Neben dem Lernen kommt auch noch das praktische Element hinzu. Sie müssen verschiedene Stationen durchlaufen und sich alle zwei bis drei Monate auf unterschiedliche juristische Fachbereiche, Kolleginnen und Kollegen, Vorgesetzte, Abläufe, Rechtsthemen usw. neu einstellen. Parallel dazu werden Sie AGs zugeteilt, um sich mit dem neuen Lernstoff, wie dem Prozessrecht, Urteilsstil oder Aufbau eines Urteils, einer Anklageschrift oder eines Plädoyers auseinanderzusetzen. Darüber hinaus sollten Sie den Lernstoff aus dem Studium, insbesondere das materielle Recht, wiederholen und vertiefen. Tagsüber sind Sie viel unterwegs und beschäftigt. Eigentlich reichen Ihnen schon die Pflichttermine. Wo bringen Sie die Zeit fürs Lernen und Wiederholen unter? Diese müssen Sie sich irgendwie freischaufeln. Umso wichtiger ist jetzt ein funktionierendes Zeitmanagement über die eng getakteten und fremdgesteuerten Termine hinaus.

Umgang mit Druck und Frustration

Ihnen ist auch klar, dass die Note im zweiten Staatsexamen noch wichtiger ist als die im ersten. Wenn Sie die Note ihres ersten Staatsexamens halten oder sogar toppen wollen, können Sie ganz schön unter Druck geraten. Das bestätigt auch der Blick in die Prüfungsstatistik: die Note im zweiten Examen liegt oft ein bis zwei Punkte unter der im ersten. Der Anspruch in den Klausuren ist nochmals höher, denn in den zur Verfügung stehenden fünf Stunden müssen Sie neben den Gesetzen auch die Kommentare mitverarbeiten. Die Gefahr steigt, sich zu verzetteln. Da kann Ihnen schon mal die Motivation verloren gehen. Das alles bedeutet, dass es hilfreich ist, wenn Sie sich Ihre Energie gut einteilen, damit Ihnen in Richtung Examensphase nicht die Puste ausgeht. Wenn Sie in einem »Null-Bock-Gefühl« hängenbleiben, dann behindert das nicht nur die Einprägung des Gelernten im Gehirn (sog. Memorierung), sondern – als logische Folge – auch den Abruf des Gelernten in den Klausuren. Unser Gehirn lernt leichter in einem positiven Gefühlszustand. Eine positive Einstellung, Offenheit und ein entspannter Zustand erleichtern Ihnen die Bewältigung von Herausforderungen, steigern die Konzentrationsfähigkeit und das Abspeichern von Gelerntem.

Entscheidend ist die innere Haltung

Wenn Sie das Ziel anstreben, Anwalt oder Anwältin zu werden, möchten Sie sich natürlich in der Anwaltsstation von Ihrer besten Seite zeigen und einen guten Eindruck hinterlassen. Dies bedeutet eine Gratwanderung, die eines gewissenhaften Zeitmanagements bedarf: Nämlich einerseits gute Leistungen zu zeigen und andererseits sich genügend Zeit fürs Lernen zu nehmen. Wie Sie das hinkriegen können? Das klingt erst einmal nach enormem Stress. Wieviel Stress Sie empfinden, hängt jedoch maßgeblich davon ab, wie Sie die Anforderungen einschätzen und über welche Ressourcen bzw. Strategien Sie für die Bewältigung dieser Situation verfügen. Sie geraten unter Stress, wenn Sie das Gefühl haben, der Referendariatszeit nicht gewachsen zu sein. Entscheidend ist also nicht die Situation an sich, sondern wie Sie die Herausforderungen und Ihre Fähigkeiten, damit umzugehen, bewerten. Empfinden Sie sich als hilflos und ohnmächtig, wird ihre Stressempfänglichkeit sehr hoch sein. Sehen Sie das Referendariat gelassen und gehen Sie mit den hohen Anforderungen souverän um, wird sich Ihr Stressempfinden in Grenzen halten. Es gibt jedoch kein Patentrezept für den klugen Umgang mit Stress, das für jeden gültig ist. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den Stresspegel zu reduzieren, jedoch ist nicht jede Maßnahme für jeden gleich effizient. Hier gilt es, eine ganz persönliche Anti-Stress-Strategie zu entwickeln.

In kleinen Schritten zum Erfolg

Wichtig ist, dass Sie stetig dranbleiben. Lassen Sie sich nicht von anderen verunsichern. Es wird viel zu viel übers Durchfallen geredet – das bringt nur negative Stimmung. Nutzen Sie die Salamitechnik: Setzen Sie sich machbare Ziele, indem Sie Ihr Lernpensum in überschaubare Portionen aufteilen, damit Sie jeden Tag kleine Erfolgserlebnisse haben! Es ist wichtig, dass Sie sich Ihre KLEINEN Erfolge bewusst machen. Dann schenkt Ihnen Ihr Gehirn auch eine »Dopamindusche«. Am besten legen Sie sich ein Erfolgstagebuch an, um dort jeden Abend vor dem Schlafengehen aufzuschreiben, was Ihnen gelungen ist, worüber Sie sich gefreut haben und wofür Sie dankbar sind. Eine wichtige mentale Regel besagt: »Auf was Du Dich konzentrierst, das wächst.« Das gilt sowohl im Positiven als auch im Negativen. Sie entscheiden, ob Sie sich als Gestalter bzw. Gestalterin Ihres Lebens erleben wollen oder nicht. Gönnen Sie sich zwischendurch auch mal was Schönes. Treffen Sie sich regelmäßig mit Ihren Freunden und Freundinnen, bevor Ihnen die Decke auf den Kopf fällt. Und wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihr Stresspegel am Anschlag ist, scheuen Sie sich nicht davor, sich professionelle Hilfe an die Seite zu holen.

 

Über die Autorin:

Susanne Winkelmann
Dipl.-Psychologin und seit 2003 als systemischer Business- und Karriere-Coach tätig. Als mentaler Lerncoach für Jurastudierende sowie Referendarinnen und Referendare bereitet sie mit gehirngerechten Lernstrategien und Stressmanagement, Lösung von Ängsten und Blockaden gezielt auf Prüfungssituationen und individuelle Herausforderungen vor – sowohl online als auch persönlich. Kontakt: www.jura-prüfungscoach.de