Zu Beginn der Corona-Pandemie wurde mit Blick auf Schließungsanordnungen geunkt, die deutsche Wirtschaft stehe vor einer beispiellosen Pleitewelle. Doch die Politik reagierte: Zum einen wurden die Insolvenzantragspflichten ausgesetzt bzw. modifiziert und zum anderen beispiellose Wirtschaftshilfen in Form von Liquiditäts- und Investitionszuschüssen bzw. Bürgschaften für Kredite oder auch Erleichterungen beim Kurzarbeitergeld ausgelobt. Jeder dürfte sich an die schnellen Milliardenhilfen an Unternehmen wie TUI, Adidas und Lufthansa erinnern.
Experten befürchteten ferner, wegen der vielfältigen staatlichen Hilfen greife eine »Zombifizierung« der Wirtschaft um sich, d.h. an sich unproduktive Unternehmen würden nur künstlich am Leben gehalten und diese zögen ihre grundsätzlich gesunden Geschäftspartner mit in den wirtschaftlichen Abgrund. Pessimisten gratulierten mir – als beim örtlichen Insolvenzgericht gelisteten Insolvenzverwalter – schon vorab zu einem beispiellosen persönlichen Wirtschaftsaufschwung.
Kein Wirtschaftsaufschwung für Insolvenzverwalter
Nun, die Horrorszenarien haben sich bislang nicht realisiert. Für 2020 verzeichnen wir einen deutlichen Rückgang der Firmenpleiten: Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform ermittelte einen Rückgang um gut 13%, der Verband der Insolvenzverwalter führt im Jahresvergleich 34% weniger eröffnete Unternehmensinsolvenzen primär auf die staatlichen Eingriffe in das Insolvenzgeschehen zurück. Letzteres hat etwas für sich, zumal zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Beitrages die Überschuldung als Insolvenzantragsgrund für diejenigen Unternehmen bis Ende April 2021 ausgesetzt ist, die aufgrund beantragter, aber noch nicht erhaltener November- oder Dezemberhilfen zwar überschuldet, ansonsten aber überlebensfähig sind. Dennoch gilt, dass die deutsche Wirtschaft ganz überwiegend den Finanzkrisen und dem Strukturwandel zum Trotz über finanzielle Polster verfügt, um bis zum Wiederaufschwung durchzuhalten. So hat sich die Zahl der Unternehmensinsolvenzen vom Höchststand in 2009 mit 32.930 kontinuierlich bis 2020 auf 16.300 mehr als halbiert.
Wandel im Berufsbild
Bedeuten die hier nur skizzierten Entwicklungen, dass mittel- und langfristig der Markt für auf das Insolvenzrecht spezialisierte Anwältinnen und Anwälte immer schwieriger wird? Nicht unbedingt: Meines Erachtens zeigt die Coronakrise, dass sich die Tätigkeitsschwerpunkte zunehmend weg von der klassischen Insolvenzverwalterkanzlei zur (vorbeugenden) Krisen- und Sanierungsberatung verlagern, wobei wir hochprofessionell arbeitende große Verwalterkanzleien immer benötigen. Denn nur diese stellen eine transparente und erfolgreiche (übertragende) Sanierung von insolventen Wirtschaftsunternehmen sicher oder – besser – gewährleisten bei nur drohender Zahlungsunfähigkeit eine Sanierung im Vorfeld eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens. Für letzteres steht seit Januar 2021 ein weiter ausdifferenziertes System von Stabilisierungs- und Restrukturierungsinstrumenten zur Verfügung.
Bei diesen primär auf Wirtschaftsunternehmen orientierten Überlegungen vergessen wir bitte nicht die Insolvenz von Verbrauchern und/oder (ehemals) selbständigen natürlichen Personen. Hier mussten die entsprechend spezialisierten Verwalterkanzleien in 2020 im Verlauf des Jahres eine ganz besondere Durststrecke hinnehmen. Denn es vergingen viele Monate von der Ankündigung eines Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens bis zu dessen Inkrafttreten per 28.12. 2020. So wird für natürliche Personen, die sich als Schuldner im eigentlichen Insolvenz- und anschließenden Restschuldbefreiungsverfahren redlich verhalten, die Restschuldbefreiung nun schon mit Ablauf von drei statt sechs Jahren seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ermöglicht.
Allrounder gesucht
Das eröffnete Insolvenzverfahren bezweckt, die Einzelzwangsvollstreckung zu unterbinden und stattdessen für eine gleichmäßige Befriedigung der Insolvenzgläubiger zu sorgen. Die Generierung von Schuldnervermögen (Insolvenzmasse) erfolgt u.a. dergestalt, dass natürliche Personen pfändbare Einkünfte abführen, Unternehmen liquidiert werden oder im besten Fall wieder erfolgreich wirtschaften und hiernach eine profitable übertragende Sanierung gelingt. Eine besondere Bedeutung hat aber das Anfechtungsrecht der Insolvenzordnung. Über dieses werden als ungerechtfertigt gewertete Vermögensverschiebungen rückgängig gemacht. Dann ist sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom anwaltlichen Beistand des Anfechtungsgegners eine umfassende Kenntnis betriebswirtschaftlicher Grundlagen (Bilanzen, Bilanzanalyse, Buchführung) zu fordern.
Fazit
Wer sich beruflich auf das Insolvenzrecht spezialisieren möchte, bedarf umfassender Kenntnisse im Wirtschaftsrecht und der Betriebswirtschaft, ergänzend auch des Wirtschaftsstrafrechts. Wer sich dieser Herausforderung stellt, hat nach wie vor hervorragende Berufsaussichten.
Über den Autor:
Harm Adam
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenzrecht.