Mit KI gegen die Wohnungsnot in Deutschland

Lydia Gref im BECK Stellenmarkt Interview

Zwischen juristischer Expertise und unternehmerischer Leidenschaft: Lydia Gref, ehemalige Syndikusrechtsanwältin und Venture Architectin, berichtet auf beck-stellenmarkt.de von ihrem Schritt in die Selbständigkeit. Erfahren Sie im Interview mehr über ihre Erfahrungen, Herausforderungen und die Intention hinter der Plattform IMMOWEXLER, die nicht weniger als den Wohnungsmarkt in Deutschland revolutionieren soll.

Frau Gref, Sie waren zunächst einige Jahre als Juristin für verschiedene Unternehmen tätig, unter anderem für große Beratungshäuser. Im Anschluss haben Sie fast zwei Jahre als Venture Architect gearbeitet. Was kann man sich darunter vorstellen?

Unter dem Berufsbild konnte ich mir zunächst ehrlicherweise nicht viel vorstellen, bis ich damals die entsprechende Stellenanzeige gelesen habe, was sicher auch daran lag, dass diese Art von Stellen nicht unbedingt originär von Jurist:innen besetzt werden. Als Venture Architect arbeitet man eng mit der Geschäftsführung an der Validierung und Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, arbeitet also sehr strategisch. Meine Rolle bestand konkret darin neue Geschäftsmodelle in einem sehr frühen Stadium auf ihre rechtliche Machbarkeit hin zu überprüfen. Das ging weit über die klassische Arbeit in einer Rechtsabteilung hinaus, die Prüfvorgänge sind komplexer und zeitaufwändig, man muss das jeweilige Modell wirklich von Grund auf verstehen und durchdringen können. Am Ende lag es an mir Vorschläge zu erarbeiten, wie ein Geschäftsmodell modelliert werden muss, damit es umsetzbar ist, man gestaltet hier also direkt mit. Das war die perfekte Schule für meine jetzige Rolle.

Das perfekte Sichtwort. Seit Anfang 2023 sind Sie Chief Legal Officer bei IMMOWEXLER – eine Plattform, die Sie selbst mitgegründet haben. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?

Am Ende die Summe vieler glücklicher Umstände. Als Syndikusrechtsanwältin und Venture Architect habe ich zahlreiche wertvolle Erfahrungen gesammelt, die mir heute helfen. Während dieser Zeit habe ich allerdings auch Herausforderungen und Einschränkungen kennengelernt, die mit einer Anstellung in einem Unternehmen systembedingt einhergehen. Gerade in Konzernen gibt es viele Abhängigkeiten und ganz unterschiedliche Interessenlagen, die in Projekten berücksichtigt werden müssen. Das geht leider oft zu Lasten der Umsetzungsgeschwindigkeit oder führt dazu, dass Projekte gar nicht umgesetzt werden. Je größer die Unternehmen, desto länger die Entscheidungswege, das war für mich auf Dauer nicht befriedigend. Ich habe darüber hinaus den Wunsch verspürt, meine Fähigkeiten und Kenntnisse auf eine Weise einzusetzen, die mir mehr Gestaltungsmöglichkeit und Flexibilität einräumen und dieser Wunsch wurde
mit den Jahren immer stärker.

Dann hatte bis dato nur der entsprechende Impuls gefehlt?

Das trifft es. Meine Mitgründer:innen Julia Niepold und Dr. Lars Ludwig habe ich bereits in der Innovationseinheit meines alten Arbeitgebers kennengerlernt. Als wir die Idee für IMMOWEXLER hatten, wusste ich genau worauf ich mich menschlich und fachlich mit den Beiden einlasse. Es hat alles gepasst, die Idee, die Marktsituation und das Team. 

Was reizt Sie an der Tätigkeit als Unternehmerin?

Bei IMMOWEXLER habe ich die Möglichkeit meine eigenen Ideen und Visionen direkt umzusetzen und gemeinsam mit meinen Mitgründer:innen eine Organisation aufzubauen, die meinen Werten und Interessen entspricht. Ich habe die Freiheit, Entscheidungen zu treffen (oder auch nicht zu treffen), die das Wachstum und die Entwicklung des Unternehmens vorantreiben und die mich motivieren. Im Team besprechen wir alle Themen von strategischer Relevanz und treffen dann schnelle Entscheidungen. Das ist sicher der größte Vorteil, der entscheidend dazu beigetragen hat, dass wir IMMOWEXLER innerhalb von nur drei Monaten umsetzen konnten.

Wenn schnell Entscheidungen getroffen werden, passieren dann nicht auch Fehler?

Sicher, eine gewisse Trial and Error-Mentalität gehört als Unternehmer:in dazu. Wir betrachten viele Maßnahmen als Experiment. Wenn etwas nicht funktioniert, probieren wir etwas anderes aus, nur so lernt man.

Inwieweit hat der Schritt in die Selbständigkeit Überwindung gekostet?

Tatsächlich kaum, auch wenn ein planbares Gehalt und gewisse Sicherheiten natürlich Benefits sind. Als Unternehmerin habe ich keine Garantien und trage ein höheres Risiko. Allerdings war und bin ich von der Idee von IMMOWEXLER und dem Potenzial des Unternehmens überzeugt. In unserem kleinen Team haben wir alle nötigen Kompetenzen, um die Idee erfolgreich umzusetzen, also warum zweifeln? Das Marktumfeld ist günstig, die Wohnungsnot spitzt sich immer weiter zu und ist durch Neubauten absehbar nicht abzufedern.

Aus welcher Intention heraus ist IMMOWEXLER entstanden?

Wir wollen das Problem fehlenden Wohnraums lösen und Wohnraumreserven sichtbar machen. Stellen Sie sich alle wohnungssuchende Berliner:innen vor, die nach einer neuen Immobilie suchen aber kein passendes Angebot finden. Wenn all diese Menschen direkt ihr freiwerdendes Angebot sichtbar machen würden, entstünden etliche Kombinationsmöglichkeiten. Genau hier setzt IMMOWEXLER an. Parallel zur Suche nach einer neuen Immobilie erfasst unser Algorithmus die aktuelle Bestandsimmobilie, also den dann dort (bald) zur Verfügung stehenden Wohnraum. So machen wir den versteckten Immobilienmarkt direkt sichtbar und schafft dadurch einen neuen Immobilienpool. Unser intelligenter Algorithmus kombiniert die individuellen Präferenzen von Angebot und Suchauftrag. Auch Kombinationen zwischen mehreren Parteien sind möglich, so dass unsere Nutzer:innen nicht mühsam und zeitaufwendig selbst passende Tauschparteien suchen müssen. Mit einer mindestens doppelt so hohen Wahrscheinlichkeit wird so die Wunschimmobilie gefunden.

Bisher ist Ihr Angebot auf Berlin und Brandenburg beschränkt, die beschriebenen Wohnraumprobleme gibt es ja auch in anderen Städten. Inwieweit wollen Sie das Projekt ausrollen?

Richtig, die Probleme gibt es in fast allen Städten, deshalb ist ein deutschlandweiter Rollout im vierten Quartal geplant, Berlin und Brandenburg sollen nur der Anfang sein. Außerdem werden wir ein Angebot speziell für Mieter:innen schaffen. Für beides kann man sich bereits heute auf www.immowexler.de registrieren.

Wie viele Portalnutzer haben Sie derzeit schon?

Wir sind seit Mitte April live und haben bereits eine zweistellige Anzahl an Nutzenden sowie diverse Vorregistrierungen für den deutschlandweiten Rollout sowie für Mieter:innen, obwohl wir bislang noch keinerlei Marketing betrieben haben. Ich denke das zeigt, dass das Marktpotential riesig ist.

Wenn Sie zurück an Ihre Studienzeit denken: Inwiefern matcht der Schritt, den Sie mit IMMOWEXLER gegangen sind, mit Ihren früheren Vorstellungen von einer Karriere als Juristin?

Fast hätte ich gesagt: It's a perfect Match, denn das stimmt für mich. Schon als Studentin habe ich das Jurastudium als sehr gute Grundausbildung begriffen, welche viele Türen fernab der klassischen Berufe und Berufsbilder öffnen kann. Jurist:innen werden für ihre analytische Fähigkeit geschätzt, die das Studium fördert und sind daher begehrte Arbeitnehmer:innen, die in der Arbeitswelt vielseitig einsetzbar sind. Das zeigt meine letzte Anstellung als Venture Architect, die ich meinem Studium zu verdanken habe. Auch wenn ich heute nicht klassisch juristisch arbeite, bereue ich das Studium keineswegs, es war so etwas wie der Grundstein für meine Reise. Der Schritt, den ich mit IMMOWEXLER gegangen bin, passt sehr gut zu meiner Persönlichkeit und meinen fachlichen Fähigkeiten. Ich habe die Chance genutzt, meine Karriere in eine Richtung zu lenken, die mich erfüllt und die meine Talente und Interessen auf eine neue Weise vereint.

Inwieweit ist der juristische Background in Ihrem Arbeitsalltag hilfreich?

Juristische Fragestellungen tauchen überall auf, gerade bei einer Gründung. Im frühen Stadium muss ein neues Geschäftsmodell auf seine rechtliche Machbarkeit hin geprüft werden, später sind es dann ganz konkrete Gestaltungsfragen, die sich stellen. Gerade beim Immobilienkauf/-verkauf gibt es vom Gesetzgeber strenge Formvorschriften. Die Nutzer:innen unserer Plattform schließen nach Besichtigung ihrer Wunschimmobilie einen Vertrag, der notariell beurkundet werden muss. Gerade bei einem Wechsel zwischen mehreren Parteien muss sichergestellt werden, dass dies ohne Risiko für jede einzelne Partei geschieht. Aber auch bei Fragen zur Gesellschaftsform, der Erstellung der Plattformverträge oder Kooperationsverträgen etc. war mein juristisches Knowhow entscheidend. Dabei habe ich oft mein juristisches Netzwerk um Rat und Einschätzungen gefragt, da es dabei zum Teil um recht spezielle Fragestellungen geht. Die meisten Verträge habe ich aber selbst entworfen. Und auch in der Zusammenarbeit mit Kunden und Dienstleistern ist mein juristischer Background von Vorteil. Ich kann Verträge und andere rechtliche Dokumente selbst prüfen und verhandeln und dadurch sicherstellen, dass die Interessen von IMMOWEXLER optimal gewahrt werden.

Sie arbeiten im Team mit einer Immobilienexpertin und einem KI-Experten, also interdisziplinär. Inwieweit ist das Teaming mit so unterschiedlichen Fachdisziplinen besonders herausfordernd?

Gerade am Anfang einer Zusammenarbeit muss man lernen mit den unterschiedlichen Arbeitsmethoden zurechtzukommen. Ich hatte allerdings den großen Vorteil, dass ich sowohl Julia als auch Lars und ihre Arbeitsweisen und Macken bereits kannte. Die Vorteile interdisziplinärer Teams überwiegen dabei klar, denn gerade unser unterschiedlicher Background führt uns konstant zu neuen Ideen und innovativen Ansätzen.

Die eigene Firma kann Fluch und Segen gleichermaßen sein. Welchen Ratschlag würden Sie (jungen) Gründer:innen mit auf den Weg geben?

Geschwindigkeit zählt, es muss nicht gleich alles perfekt sein, anders hätten wir nicht innerhalb von drei Monate mit unserem Produkt live gehen können. Geschwindigkeit hilft Fehler effizient zu machen. Finde ein Team von talentierten und motivierten Menschen, die deine Leidenschaft und Vision für das Unternehmen teilen. Und nicht zuletzt; netzwerkt. Knüpft Kontakte. Ein starkes Netzwerk kann helfen, Ressourcen zu finden, von anderen zu lernen und Geschäftsmöglichkeiten zu schaffen. Auch wenn es manchmal anstrengend sein kann, gründen macht sehr viel Spaß und die Lernkurve ist steil. Wenn es die individuellen Umstände zulassen, kann ich eine Gründung jedem nur empfehlen.

Zum Abschluss haben wir fünf sehr persönliche Fragen vorbereitet, bitte beenden Sie die Sätze spontan, also aus dem Bauch heraus:

Als ich ein Kind war, war mein Traum… Profisportlerin zu werden. Ich habe bereits im Alter von 4 Jahren angefangen Handball zu spielen und war eine totale Sportfanatikerin.

Die Entscheidung Jura zu studieren… lag an John Grisham.

Ein guter Arbeitstag bedeutet für mich… Abwechslung, denn das bedeutet meist auch Entwicklung.

Wenn ich in der Rückschau etwas anders machen könnte, würde ich… wenig ändern. Klar, viele Entscheidungen, die ich in der Vergangenheit getroffen habe, würde ich heute wahrscheinlich nicht mehr in der Form treffen, aber am Ende haben mich die Erfahrungen auch weitergebracht.

Für das laufende Jahr habe ich mir vorgenommen… mit IMMOWEXLER den Wohnungsmarkt zu entlasten.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Über die Interviewpartnerin: 

Lydia Gref
Volljuristin, ist Chief Legal Officer bei IMMOWEXLER. Nach ihrem Jura-Studium an der LMU München hat sie zunächst einen LL.M. an der Stellenbosch University absolviert. Nach verschiedenen beruflichen Stationen, unter anderem als Volljuristin bei Deloitte Legal und als Syndikusanwältin bei PwC und zwei Stationen als Venture Architect, hat sie sich im Januar 2023 mit dem innovativen Unternehmen IMMOWEXLER selbständig gemacht.  

Über das Unternehmen:

IMMOWEXLER wird durch die Immory GmbH betrieben und ist ein von Inhaber:innen geführtes Unternehmen. Die Geschäftsführer:innen der Immory GmbH verfügen über breite Erfahrung aus der Immobilienbranche. Sie kennen die Herausforderungen von Eigentümer:innen genau. Mit dem IMMOWEXLER bietet das Unternehmen eine einfache und kostengünstige Lösung für den Immobilienwechsel. Ziel ist es bedarfsgerechtes Wohnen zu vereinfachen – gerade in Zeiten in denen Wohnraum eine knappe Ressource ist. Gestartet ist das Unternehmen wir mit dem Wexel von Eigentum. Ab Sommer 2023 wird es auch ein Angebot für Mietobjekte (MIETWEXLER) geben.