100 Jahre Berufszulassung der juristischen Berufe für Frauen - Zeit für eine diskriminierungsfreie Ausbildung und Berufswelt

von Prof. Dr. Maria Wersig

Erst 100 Jahre? Zwischen 1900 und 1909 öffneten sich zwar alle juristischen Fakultäten in Deutschland auch für Studentinnen. Anders als in anderen Fächern jedoch blieb es den Frauen – mit Ausnahme Bayerns – verwehrt, die Staatsexamina abzulegen.

Argument gegen die Zulassung der Frauen zu den juristischen Berufen war, dass diese mit dem gelten den Recht nicht zu vereinbaren sei. Frauen, so wurde (insbesondere von Vertretern der Berufsvereinigungen) außerdem gesagt, seien aufgrund ihres Geschlechts und der damit verbundenen seelischen Eigenart, nach welcher sie weitgehend Gefühlseinflüssen unterworfen seien, nicht in der Lage, den Anwalts- oder Richter beruf auszuüben. Noch im Mai 1921 hatte der 4. Deutsche Richtertag »die Frau« fast einstimmig als »ungeeignet für das Richteramt« erklärt und in einer möglichen Änderung des Status  quo eine »schwere Gefährdung der Rechtspflege« erblickt.

Hauptziel und erster großer politischer Kampf des 1914 gegründeten Deutschen Juristinnen-Vereins (DJV) war daher, die generelle Zulassung der zumeist promovierten Juristinnen zum Ersten und Zweiten Staatsexamen zu erreichen. Der DJV war der Vorgängerverein des heutigen Deutschen Juristinnenbundes. 1922 war es endlich soweit: Das »Gesetz über die Zulassung der Frauen zu den Ämtern und Berufen in der Rechtspflege« vom 11. Juli 19221 beseitigte die formalen Hindernisse, gewährte Frauen Zugang zum Staatsexamen und schließlich zu den juristischen Berufen.

Die Zeit der Juristinnen war zunächst leider nur kurz: 1933 stellte der DJV seine Arbeit ein und die Gründerinnen verließen Deutschland. Die nun folgen den Berufsverbote und antisemitische Verfolgung im Nationalsozialismus trafen die Frauen der ersten Generation der Juristinnen hart. An einige der Biografien erinnert die vom Deutschen Juristinnenbund heraus gegebene Ausstellung »Jüdische Juristinnen und Juristinnen jüdischer Herkunft«.

100 Jahre nach dem historischen Datum der Berufszulassung erinnert der Deutsche Juristinnenbund in  einer vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz finanzierten großen Kampagne im Jahr 2022 an die Kämpfe, die Juristinnen zu führen hatten und stellt die Frage, wo wir heute stehen.

Frauen als Geliebte, Ehefrau und Sekretärin

Wo stehen wir heute? Es studieren inzwischen deutlich mehr Frauen als Männer Jura. Es sind aber nur knapp 18% der juristischen Lehrstühle mit Frauen besetzt. Die Studentinnen werden nur von einem verschwindend kleinen Anteil Professorinnen unterrichtet. Es fehlen dadurch in dieser für Juristinnen prägenden Lebensphase schlicht Vorbilder.

Inwieweit sie das Studium und auch die Referendarinnenzeit als diskriminierungsfreien Raum erleben, beschäftigt den Arbeitsstab Ausbildung und Beruf des Deutschen Juristinnenbundes. Wer kennt sie nicht, die sexistischen (oder rassistischen) Fallbeispiele, die die Ausbildung zum Teil immer noch prägen. In meinem Jurastudium vor über 20 Jahren habe ich mich darüber geärgert – so viel scheint sich nicht verändert zu haben.

Eine Studie von Dana-Sophia Valentiner hat es untersucht: Frauen kommen in Klausur fällen weniger häufig vor und wenn, dann in einer ausgesprochen stereotypen Darstellungswelt, als Geliebte, Ehefrau oder Sekretärin, als Schablone in ihrer Beziehung zu einem Mann. Oder als kleines Dummchen mit absurden Rechtsproblemen – der abgebrochene Fingernagel zum Beispiel.

Da die juristische Ausbildung stark von Fallbearbeitung geprägt ist, ist es nicht egal, wie die Fälle aus gestaltet sind. Wie wir über die Welt reden bzw. schreiben, prägt die Sicht auf die Welt und ist nicht nur Ausdruck dieser Sicht. In einem Instagram-Account mit dem Titel »Juristenausbildung. Üble Nachlese« sammelt der Arbeitsstab Ausbildung und Beruf des djb solche Negativ-Fallbeispiele aus der Ausbildung – Einreichungen sind willkommen!

In Prüfungen ohne Prüferin schneiden Frauen schlechter ab

Eine Studie zum juristischen Prüfungswesen in NRW aus dem Jahr 2018 hat erschreckende Erkenntnisse zu Tage gefördert. Frauen schneiden in den Staatsexamina statistisch schlechter ab als Männer (in der schriftlichen und in der mündlichen Prüfung). Für letztere gilt dies selbst dann, wenn sie zuvor in den schriftlichen Prüfungen gleiche Ergebnisse erzielten. Die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen die Schwelle zur nächsthöheren Note überwinden, ist deutlich geringer als bei Männern. Noch deutlicher zeigt sich die ungleiche Benotung bei Absolvent*innen mit Migrationshintergrund oder »ausländisch« klingendem Namen. Auch sie erreichen mit deutlich geringerer Wahrscheinlichkeit das Prädikat.

Das wichtigste Ergebnis der Studie ist aber: Die Zusammensetzung der Kommission in der mündlichen Examensprüfung beeinflusst deren Notengebung. Wenn Frauen mitprüfen, verschwindet zumindest der Geschlechterunterschied in der mündlichen Prüfung. Das ist ein eindeutiger Beleg für einen Diskriminierungseffekt. Die wenigsten Prüfer*innen gehen mit dem bewussten Vorhaben in eine Prüfung, die Prüflinge nach Geschlecht ungleich zu behandeln.

Trotzdem zeigt der Befund ein Problem auf der Ergebnisseite, eine faktische Benachteiligung (die auch unbewusst erfolgen kann). Eine daraus entwickelte Forderung ist die angemessene Repräsentation von Prüferinnen. Denn im Pool der Prüfenden sind Frauen unterrepräsentiert, sie müssen für diese Aufgabe gewonnen und sinnvoll »verteilt« werden (in jeder Kommission mindestens eine). Das kann vor dem Hintergrund der klaren Befunde eine richtige Maßnahme sein.

Die Erhöhung des Frauenanteils ist aber kein Allheilmittel. Es ist nicht akzeptabel, dass es ohne Frauen überhaupt zu Diskriminierungen kommt. Maßnahmen gegen Diskriminierung müssen (auch) an an derer Stelle ansetzen, hier kommen Bewusstseinsbildung, verpflichtende Fortbildungen, transparente Leistungsanforderungen für die Prüfungen und entsprechende Handreichungen ins Spiel.

Eine Anfrage des djb bei allen Justizprüfungsämtern hat ergeben, dass ein Regime zur Qualitätssicherung und Gewährleistung von Einheitlichkeit der Prüfungen in keinem Bundesland existiert. Die Prüfer*innen sind in der inhaltlichen Gestaltung, dem Ablauf der mündlichen Prüfungsgespräche, der Notengebung – d.h. bei der Gewichtung der abgeprüften Kompetenzen und dem Verfahren bei der Notengebung  – völlig frei. Die Befragung hat auch ergeben, dass es ein Problembewusstsein gibt, der detaillierte Fragebogen des djb wurde von fast allen Bundesländern beantwortet.

Nächster Schritt ist, Best Practice Beispiele zusammenzutragen und Empfehlungen zu entwickeln, wie ein transparentes Prüfungswesen und klare Anforderungen an mündliche Prüfungen zu einem Abbau von Diskriminierungseffekten beitragen können.

Gemeinsam die (Ausbildungs-) Welt verändern

Auch heute noch, 100 Jahre nach der Berufszulassung, mit vielen Frauen im Studium und den juristischen Berufen, gibt es Anlass, sich zu vernetzen und miteinander für Veränderungen einzutreten. Der djb ist der Ort, um Rechtspolitik mit Gleichstellungsfragen verknüpft zu betrachten, gleich gesinnte Kolleginnen zu treffen, sich mit Vorbildern auszutauschen und für eine geschlechtergerechte Gesellschaft einzutreten.

Für die Lebensphase Referendariat bieten wir ganz konkrete Unterstützung: Vermittlung von Stationen z.B. in einer EU-Institution in Brüssel, auch Bewerbungen für eine Station in unserer Bundesgeschäftsstelle in Berlin sind gern gesehen. Politisch setzen wir uns für die Möglichkeit des Referendariats in Teilzeit zu guten Bedingungen ein. Junge Juristinnen (Frauen in Ausbildung oder im Berufseinstieg) haben eigene Mailinglisten und Veranstaltungsangebote, im Mentoringprogramm djb connect arbeiten Mentorinnen gemeinsam mit der Mentee ein Jahr an ihrer beruflichen Entwicklung.

Daneben haben Sie im djb die Gelegenheit, sich in die fachliche rechts politische Arbeit einzubringen: Sei es bei der Frage nach der Gleichstellung von Frauen im Erwerbsleben, der familienrechtlichen Anerkennung queerer Lebensmodelle oder dem an gemessenen Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt. Einen Einblick in diese Themen gibt monatlich unser Podcast »Justitias Töchter«.

Ich möchte Sie einladen, bei unseren Veranstaltungen (online und offline) vorbeizuschauen, unseren Podcast zu hören, unsere Social Media Accounts zu abonnieren  – und unsere  Arbeit zu unterstützen durch Ihre Mitgliedschaft!

 

Über den djb:

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) wurde 1948 gegründet und setzt sich seitdem für die Gleichstellung von Frauen und Männern in Recht und Gesellschaft ein. Mitglied werden kann jede Frau, die Rechts- oder Wirtschaftswissenschaften studiert oder studiert hat. In Landesverbänden und Regionalgruppen ist der djb vor Ort aktiv. Juristinnen in Ausbildung finden Ansprechpartnerinnen, können sich vernetzen und vom Mentoringprogramm des djb profitieren. Der Arbeitsstab Ausbildung und Beruf im djb befasst sich mit Ausbildungsfragen und dem juristischen Prüfungswesen. Im Podcast Justitias Töchter (abrufbar über alle Podcast-Apps) wird einmal im Monat eine aktuelle Frage der feministischen Rechtspolitik diskutiert.

Weitere Informationen: www.djb.de
Twitter: @juristinnenbund

 

Über die Autorin: 

Prof. Dr. Maria Wersig
Hochschullehrerin und
Präsidentin des Deutschen
Juristinnenbundes e.V. (djb)