Karriere im Steuerrecht: Topchancen für junge Juristen*

Interview mit Stefan Winheller und Christian Kempges

* Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden auf die gleichzeitige Verwendung weiblicher und männlicher Sprachformen verzichtet und das generische Maskulinum verwendet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für beide Geschlechter.

Judex non calculat – macht daher eine Karriere als Steueranwalt überhaupt Sinn? Es gibt doch schon so viele Fachanwälte für Steuerrecht. Finde ich da noch meinen Platz? Wird das Gebiet nicht bereits von Steuerberatern dominiert und der Fachanwalt nur müde belächelt? Und muss ich als Steueranwalt etwa den ganzen Tag rechnen?

Fragen über Fragen, die sich junge Kolleginnen und Kollegen stellen. Wir möchten heute Antworten liefern und für eine Karriere als Steueranwalt werben. Im folgenden Interview berichten RA Stefan Winheller und RA Christian Kempges von ihren Erfahrungen. Stefan Winheller ist bereits 17 Jahre als Anwalt im Steuerrecht tätig, Christian Kempges ist neu im Geschäft und seit Juli 2020 als Anwalt zugelassen.

Was macht das Steuerrecht so spannend?

Christian Kempges: Das Steuerrecht weist zu jedem erdenklichen Lebensvorgang Berührungspunkte auf. In der Beratungspraxis läuft quasi nichts, ohne dass der Vorgang einmal unter steuerrechtlichen Gesichtspunkten betrachtet worden ist. Als Steueranwalt muss man zumindest ein vertieftes Grundverständnis von dem haben, was die Kollegen in anderen Rechtsgebieten machen und sich darüber hinaus im Steuerrecht auskennen. Gerade diese Verzahnung mit den anderen Rechtsgebieten macht die Arbeit für mich so spannend. Steuerrecht ist alles andere als langweilig und trocken.

Die Tätigkeit eines Steueranwalts hat übrigens, anders als ich zu Beginn dachte, im Grunde wenig bis gar nichts mit der Tätigkeit eines Steuerberaters zu tun. Wir Steueranwälte kümmern uns im Wesentlichen um das Steuerrecht, die Steuerberater um die Steuern. Zwar darf ein Anwalt theoretisch auch Bilanzen und Steuererklärungen erstellen. In der Praxis ist das aber das Hoheitsgebiet der Steuerberater und für einen Steueranwalt meist uninteressant. Auch Steuerberechnungen überlässt man besser dem Steuerberater. Im Zentrum der Tätigkeit eines Steueranwalts steht es, die dicken Bretter zu bohren. Wir gestalten und verknüpfen die verschiedenen Rechtsmaterien miteinander. Manchmal fühlt man sich dabei wie MacGyver und macht das Unmögliche möglich.

Stefan Winheller: Steuerrecht ist vielfältig und ständig im Wandel. Auch die Mandanten des Steueranwalts können jede Couleur annehmen: Von der Beratung internationaler Konzerne, gemeinnütziger Stiftungen, der öffentlichen Hand, dem deutschen Mittelstand, Startup-Unternehmen, sog. High-Net-Worth-Individuals bis hin zu Investoren in Kryptowährungen kann alles mit dabei sein. In diesem Umfeld ist der Steueranwalt ein Gestalter. Er darf seinen Mandanten dabei helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen, die nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich Hand und Fuß haben müssen. Die Steuerbelastung und damit das Steuerrecht geben also häufig den Ausschlag für Entscheidungen. Ein guter Steueranwalt wird also immer gebraucht und er trägt eine Menge Verantwortung, weil es meist um viel geht. Wer einmal 400 Immobilien eines vermögenden, über 80-jährigen und gesundheitlich angeschlagenen Privatmannes unter Zeitdruck in eine GmbH & Co. KG und sodann eine Stiftung überführt hat und dabei zahllose steuerliche Risiken umschiffen musste und dabei ein ums andere Mal ins Zweifel gekommen ist, ob der eingeschlagene Weg der richtige ist, weiß, dass nicht nur in M&A-Deals der Adrenalinausstoß hoch ist. Das ist tausendmal besser als ein Krimi im Fernsehen.

Was kann ich von einer Karriere im Steuerrecht erwarten?

Stefan Winheller: Alles! Ein guter Steuerrechtler ist überall und immer gefragt. Weil das Steuerrecht auf einem Bierdeckel in der komplexen Welt von heute keine Chance hat, sind Berater, die sich im Steuerdschungel auskennen, heiß begehrt – in der Führungsetage in Unternehmen genauso wie in Kanzleien. Geschäftspartner, Mandanten und selbst Kollegen schauen auf Anwälte, die sich im Steuerrecht zu Hause fühlen, immer noch voller Ehrfurcht – als wäre man etwas besonders. Das zeigt, wie dominant die wirtschaftlichen und eben auch die steuerlichen Aspekte in unserem Leben sind – privat wie beruflich. Es gibt kaum Entscheidungen, die keine steuerrechtliche Relevanz haben. Selbst das Heiraten kann ein Steuersparmodell sein. Von daher verwundert es nicht, dass gute Steuerrechtler gefragt sind – im Konjunkturhoch wie im Konjunkturtief.

Was muss ein junger Kollege mitbringen, um Karriere im Steuerrecht zu machen?

Christian Kempges: Mut, Neugier, wirtschaftliches Interesse, Kreativität und die Bereitschaft, sehr vielfältig tätig zu sein. Das Steuerrecht ist an sich nicht schwer. Das Wesentliche steht im Gesetz und die Gesetze sind meist logisch aufgebaut. Man muss nur einmal die Hürde nehmen und sich mit diesem „ominösen und ehrfurchtgebietenden“ Steuerrecht beschäftigen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass der Einstieg ins Steuerrecht auch deutlich leichter ist, wenn man sich praktisch betätigt, sprich im Rahmen von Praktika oder Werkstudententätigkeiten. Ein gesundes Ego ist zudem sicherlich nicht verkehrt. Oft ist man als Steuerrechtler gezwungen, den Spielverderber zu spielen und die Vorhaben der Kollegen zu torpedieren. Gut, wenn man dann gleich einen Alternativvorschlag, der steuerlich funktioniert, im Gepäck hat.

Stefan Winheller: Die frühzeitige Spezialisierung ist das Beste, was ein junger Kollege mitbringen kann. Idealerweise hat der junge Kollege schon während des Studiums oder des Referendariats Blut geleckt, also z. B. einen Fachanwaltskurs belegt oder konsequent in Steuerrechtskanzleien gearbeitet. Möglicherweise weiß er sogar schon, in welchem konkreten Bereich des Steuerrechts er später tätig werden möchte und hat auch insoweit schon erste Gehversuche unternommen. Dann sind für einen guten Start und die weitere Karriere auch 2 × 8 Punkte völlig OK.

Außerdem ist gutes Englisch wichtig – jedenfalls dann, wenn der Einstieg in eine Einheit geplant ist, die auch grenzüberschreitend tätig ist. Idealerweise hat der Nachwuchsjurist seine Englischkenntnisse im Rahmen eines LL.M.-Studiums im Ausland erworben und so gleich auch noch seinen kulturellen Horizont erweitert. Auf eine Dissertation, vor allem eine fachfremde Dissertation, kann er dann getrost verzichten.

Und wer nicht als Einzelkämpfer starten will, sollte ein guter Teamplayer und feedbackfähig sein. Als Steueranwalt arbeitet man häufig mit anderen Kollegen aus anderen Rechtsgebieten oder auch mit Steuerberatern zusammen. Der junge Kollege sollte also wissen, was er kann und was andere besser können. Als Teamplayer nutzt er seine eigenen Stärken und die der Kollegen im Interesse der Sache und des Mandanten. Und mit Teamplay meine ich nicht das Teamplay, das nahezu jeder Bewerber wie selbstverständlich als Stärke in seinem Lebenslauf aufführt. Ich meine echtes Teamplay, d. h., das Eingestehen von Schwächen und das Wissen um die eigenen Arbeitspräferenzen und die der Kollegen im Team. Ich meine 100%ige Verbindlichkeit auch bei internen Fristen, die Fähigkeit, Kritik und Feedback als Chance für persönliches Wachstum zu sehen und nicht als Aufforderung, sich zu rechtfertigen, und als den Wunsch, sich ein Leben lang fachlich und persönlich weiterzuentwickeln. Wer das mitbringt oder sich aneignen will: Herzlich willkommen im Club!

Welchen ultimativen Tipp würdet Ihr einem zukünftigen Steurrechtler geben?

Christian Kempges: Ganz klar: In der Ruhe liegt die Kraft! Es gibt wenige Rechtsgebiete, in denen man den Sachverhalt so sorgfältig von allen Seiten aus prüfen muss wie im Steuerrecht. Voreilige Schlüsse sind tabu. Solange das Gesamtbild nicht klar ist, kann eine Empfehlung im Steuerrecht voll nach hinten losgehen.

Stefan Winheller: Die Grundlagen und die Systematik zu lernen und zu verstehen, ist das A und O – auch im Steuerrecht. Wer verstanden hat, warum eine Regelung so ist, wie sie ist, kann den Mandanten in einer einfachen Sprache beraten – statt auf Steuerchinesisch. Für den Beratungserfolg, gerade in schwierigen Fällen, ist das Gold wert.

Über die Autoren:

Stefan Winheller
Rechtsanwalt LL.M. Tax (USA) und Fachanwalt für Steuerrecht ist
Gründer und Geschäftsführer der auf Steuer-, Stiftungs- und
Gemeinnützigkeitsrecht spezialisierten Kanzlei WINHELLER
Rechtsanwaltsgesellschaft mbH mit Hauptsitz in Frankfurt am Main

Christian Kempges
Rechtsanwalt, ist für die WINHELLER Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
im Team „Vermögen, Stiftungen, Nachfolge“ tätig

Quelle JuS 10/2020