Methodik zur Risikobewertung

von Arnd Bürschgens

Technische Anlagen, wie bspw. Trinkwasser-, Elektro- oder Lüftungsinstallationen, sind häufig sehr komplexe Systeme aus zahlreichen Komponenten mit Funktionen und Abhängigkeiten. Die im Rahmen von Gutachten und Gefährdungsabschätzungen bislang angebotenen Methoden zur Bewertung individueller Risiken mittels 3 x 3-Matrizen, die ihren Ursprung in Managementsystemen zur Bewertung potenzieller Risiken hatten (proaktiv), sind für Risikoabschätzungen in bestehenden Anlagen (reaktiv) kaum zielführend bzw. in der nötigen Detailtiefe nur mit einem hohen Aufwand adaptierbar.

Die subjektive Schätzung einer Schadens-Eintrittswahrscheinlichkeit auf Grund von Sach- oder Funktionsmängeln sowie der jeweiligen Auswirkungen bei einer Gefahrenrealisierung muss zudem zwangsläufig zu einer bewussten oder unbewussten Verzerrung in der gutachterlichen Bewertung führen.

Insgesamt kann die Anwendung einer Risikoeinstufung mit Klassifizierung und Bewertung möglicher Risiken in einem Gutachten mit Risikoabschätzung entscheidend dazu beitragen, die Gesundheit der Nutzer zu schützen, die Funktions- bzw. Gebrauchstauglichkeit der Anlage zu bewerten und mögliche Risiken für die Organisation zu ermitteln. 

Als Risiko bezeichnet man die Wahrscheinlichkeit, dass auf Grund einer Exposition der Nutzer gegenüber einer konkreten Gefahr ein Schaden eintreten wird. Die Exposition bezeichnet hierbei das unmittelbare Ausgesetztsein gegenüber einer Gefahr oder gefährdenden Bedingungen bzw. ein räumliches und/oder zeitliches Zusammentreffen eines schadensbewirkenden Faktors einer Gefahrenquelle (RKI „Infektionsschutz und Infektionsepidemiologie“ Fachwörter – Definitionen – Interpretationen, S. 41 „Exposition“). Eine Schädigung insbesondere der menschlichen Gesundheit ist nur dann nicht „zu besorgen“ (Besorgnisgrundsatz gem. § 37 IfSG), wenn hierfür keine, auch noch so wenig naheliegende Wahrscheinlichkeit besteht, eine Gefährdung also nach menschlicher Erfahrung unwahrscheinlich ist (Bayrisches VG Würzburg W6/S 14.485, 2014).

Die vorgestellte Methodik vereint die Vorteile bekannter Matrizes, ohne die Objektivität der Bewertung zu verlieren. Subjektive Einschätzungen einer Eintrittswahrscheinlichkeit können hierdurch vollständig vermieden werden. Das vorgestellte 4-stufige Bewertungssystem kann zudem als visuelles Hilfsmittel dienen, um sowohl die Schadensart als auch die Maßnahmenpriorität in einer intuitiv verständlichen Form darzustellen.

Da technische Mängel nicht nur gesundheitliche Auswirkungen haben müssen, wurde zunächst eine Taxonomie möglicher Schäden erstellt:

0 - keine Schäden: Das Bauteil oder das betrachtete System zeigen keine Anzeichen, die mögliche Schäden oder einen Funktionsausfall besorgen lassen.

1 - Vermögensschäden: Auf Grund der festgestellten Mängel bestehen erhöhte Energie-, Betriebs- oder Personalkosten bzw. Verbrauchswerte oder sind in Zukunft nicht auszuschließen/zu erwarten.

2 - Sachschäden: Auf Grund der festgestellten Mängel können Sachschäden entstehen; eine eingeschränkte Funktionstauglichkeit bzw. ein Ausfall der Anlage ist zu besorgen.

3 - Personenschäden: Auf Grund der festgestellten Mängel sind Personenschäden zu besorgen. Es besteht bei einer bestimmungsgemäßen Verwendung ein gesundheitliches Risiko für Nutzer.

In Abhängigkeit des möglichen Schadensausmaßes ergibt sich in der Konsequenz eine zeitliche Priorisierung der erforderlichen Maßnahmen. Bei der zeitlichen Abstufung wurde auf umgangssprachliche Begriffe wie kurz-, mittel-, langfristig verzichtet, um Interpretationen zu minimieren. Stattdessen werden die nachfolgenden Begriffe genutzt:

zeitnah: Zeitnah umzusetzenden Maßnahmen sollten innerhalb weniger Wochen bis maximal ein Jahr nach Ermittlung des Risikos umgesetzt werden.

umgehend: Umgehend bedeutet „so schnell wie möglich“ und drückt eine zügige Reaktion aus. Der Begriff lässt etwas Spielraum für organisatorische Abläufe oder geringe Verzögerungen. Es ist eine Aufforderung zur Schnelligkeit ohne eine sofortige Handlungspflicht.

unverzüglich: Unverzüglich bedeutet „ohne schuldhaftes Zögern“; es erfordert, dass eine Handlung so schnell wie möglich erfolgt, ohne vermeidbare Verzögerungen. Insbesondere wenn auf Grund eines Mangels Personenschäden denkbar sind, betont „unverzüglich“ die Dringlichkeit stärker als „umgehend“ und lässt kaum Raum für vermeidbare Verzögerungen. Unverzügliche Veranlassung bedeutet hier innerhalb einer nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessenden – meist kurzen – Prüfungs- und Überlegungsfrist, siehe § 121 BGB.

Durch die Anwendung der Begriffe regelmäßig, zeitnah, umgehend und unverzüglich als Vorgaben zur Umsetzung, kann jeder Interpretation vorgebeugt werden. Gleichzeitig ist die Einstufung in ein Bewertungssystem auch für fachliche Laien als Adressaten der Bewertung verständlich und in einem gestaffelten Sanierungsplan umsetzbar.

Bewertungsgruppe 0 (keine Mängel):

Grundlegend sind alle Maßnahmen, die für einen bestimmungsgemäßen Betrieb notwendig sind, insbesondere organisatorische Maßnahmen. Diese müssen nicht auf Mängeln zurückzuführen sein, sie können auch die Weiterführung bereits durchgeführter Maßnahmen, insbesondere Instandhaltung und Dokumentation, beinhalten.

Bewertungsgruppe 1 (Vermögensschäden):

Die zeitnah umzusetzenden oder einzuleitenden Maßnahmen sollten bis maximal ein Jahr nach Feststellung des Mangels erfolgen; sie können sich auch aus einer präventiven Bewertung ergeben.

Bewertungsgruppe 2 (Sachschäden):

Umgehend einzuleitende Maßnahmen können zur Vermeidung oder Beseitigung von Sachschäden dienen sowie dem Funktionsausfall einer Anlage entgegenwirken.

Bewertungsgruppe 3 (Personenschäden):

Zu den unverzüglich einzuleitenden Maßnahmen zur Abwehr von Personenschäden zählt die Beseitigung von Umständen, die eine Gesundheitsgefährdung besorgen lassen. Erforderliche Maßnahmen zur unmittelbaren Gefahrenabwehr für die Nutzer sind sofort umzusetzen.

Die vorgestellte Methodik zur Bewertung möglicher Risiken auf Grund von betriebs-/technischen Mängeln stellt eine Weiterentwicklung vorhandener Methoden dar und wird zu einer wesentlichen Vereinfachung in der reaktiven Bewertung von Risiken auf Grund festgestellter Mängel oder manifestierter Schäden führen.

 

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Über den Autor:

Arnd Bürschgens - Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger
Er ist Sachverständiger im Installateur- und Heizungsbauerhandwerk, Teilg. Trinkwasserhygiene, 1. Vorsitzender des Deutschen Vereins der qualifizierten Sachverständigen für Trinkwasserhygiene - DVQST e.V. und Vorsitzender der Richtlinie VDI 6023-2 „Bewertung von Trinkwasserinstallationen“.