Die Macht der Stimme nutzen

Ariane Porzelius im Interview mit Susanne Kleiner

Rechtsanwälte und Notare sprechen viel. Ihre Stimme entscheidet maßgeblich mit, wie sie ankommen. Wie Viel- und Schnellsprecher dieses einflussreiche Organ trainieren und gesund erhalten, erklärt Ariane Porzelius, Logopädin und Coach, im Gespräch mit Susanne Kleiner – praktische Übungen inklusive. Die Münchnerin begleitet Juristen dabei, ihr Sprechinstrument überzeugend einzusetzen.

In welchen Situationen kommen Juristinnen und Juristen auf Sie zu?

Rechtsanwälte, Richter oder Notare mit instabilen, kratzigen, brüchigen Stimmen suchen meinen Rat. Manchen bricht sogar die Stimme weg, so dass Diktate oder Telefonate unverständlich sind. Diese Menschen sind häufig erschöpft und nach der Arbeit total k.o. Sie verlieren die Lust, sich abends zu unterhalten. Wer stimmliche Probleme hat, spart Stimme ein, wo er kann. Das heißt: Organische oder funktionelle Schwächen stehlen uns Momente zum Auftanken und Spaß haben mit Freunden und Familie.

Dann kommen andere, die den Anspruch haben, ihren persönlichen Auftritt zu verbessern. Sie führen im Alltag sehr lange Gespräche mit Mandanten, stellen ausufernd komplexe Sachverhalte dar, diktieren viel und müssen sich vor Gericht durchsetzen. Dabei nutzen sie ihre Fachsprache ganz selbstverständlich. Das verleitet zur Monotonie und lässt kompetente Persönlichkeiten verblassen.

Sprecher gewinnen jedoch, wenn sie variabel sprechen, zum Beispiel in der Tonhöhe und Lautstärke abwechseln. Und dazu müssen sie stimmlich, persönlich und fachlich gut vorbereitet sein.

Wie beeinflusst die Stimme unseren persönlichen Auftritt?

Was wir sagen, ist wichtig. Doch wie wir etwas kundtun, ist erheblich bedeutender. Stimme macht Stimmung. Das ist so. Wer wohlklingend und dynamisch spricht, überzeugt. Gesunde und zielgerichtete Stimmen vermitteln Sicherheit, Seriosität, Präsenz, Durchsetzungsstärke und Willenskraft. Und sie entscheiden darüber, ob Argumente ankommen.

Stimmen charakterisieren Menschen als zuverlässig, offen, sympathisch, kompetent, ehrlich und einfühlsam. Spricht jemand brüchig, leise, kraftlos, schwach und monoton, schalten andere ab. Wer gestresst, nervös, unklar oder gereizt rüberkommt, bleibt negativ in Erinnerung. Ruhen Sprecher jedoch in sich und klingen melodisch, punkten sie.

Wie arbeiten Sie mit Juristen oder Kanzleien zusammen?

Wir arbeiten in Einzelcoachings oder Gruppentrainings an Luft- und Tonhaltedauer sowie Artikulation, Lautstärke, Stimmmelodie, Sprechtempo und Stimmklang. Wie setzt die Stimme ein? Wie endet eine Sprechphrase?

Das zu lernen, ist entscheidend für einen starken Ausdruck. Unser Stimmapparat umfasst den Kehlkopf mit den Stimmlippen. Er ist der sogenannte Tongenerator und ein robustes, aber zugleich filigranes System, das gepflegt und trainiert werden möchte. Viele unterschätzen, wie aussichtsreich es ist, sich mit Atem-, Sprech- und Stimmtraining fit zu halten.

Wie schaffen es Vielredner, im Brustton der Überzeugung zu sprechen?

Ich empfehle, langsam zu sprechen und Pausen zu machen, damit der Inhalt ankommt; und dann mindestens einmal tief durchzuatmen. Wer höher, tiefer, lauter oder leiser spricht, kommt natürlich an. Wer das Gegenüber zunächst anschaut und den Blickkontakt wirken lässt, fördert Verständnis und durchbricht den dauerhaften Stimmeinsatz. Kurze, prägnante Sätze vermitteln Klarheit.

Auch eine aufrechte, lockere Haltung ist elementar. Hilfreich ist die Beweglichkeit in Knöcheln, Knien, Hüfte, Schultern, Ellbogen, Handgelenken und im Kiefer. All diese Gelenke sind meistens verspannt. Anspruchsvolle und gleichzeitig beanspruchte Sprecher brauchen Atemkapazität, um ihren stimmlichen Ausdruck zu optimieren. Auch daran arbeiten wir.

Welche praktischen Tipps gibt es noch?

Ein kurzes, fast angedachtes Gähnen bei geschlossenem Mund wirkt Wunder bei Engegefühl. Oder es hilft, laut und leise, hoch und tief, klar und durchlässig zu tönen und sich mit dieser flexiblen Stimme vertraut zu machen.

Erhellend ist es, sich selbst beim Sprechen aufzunehmen und dann genau hinzuhören. Bei belegter, kratziger oder heiserer Stimme gilt: Nicht räuspern, besser husten. Räuspern wirkt wie ein Reibeisen, das über die Stimmlippen zieht. Husten ist ein langer, lockerer Luftweg und bringt die Stimmlippen elastisch in Schwingung. Auch fest Schlucken ist gut. Mindestens zweieinhalb Liter stilles Wasser oder Kräutertees trinken. Lutschpastillen befeuchten. Und ja – Kaugummikauen in Maßen macht unsere Sprechwerkzeuge geschmeidig und beweglich.

Und die Notare, die extrem viel und schnell sprechen?

Ein Notar ist wie ein Düsenjetpilot im Vergleich zu seinen Anwaltskollegen, die Linie fliegen. Das verdient Extra-Training. Etwa so: täglich zweimal drei Minuten einen Holzmundspatel – den gibt es in der Apotheke – hochkant zwischen die Frontzahnreihe in den Mund nehmen, damit die Zunge gut Platz hat. Und sprechen. Die Übung formt die Laute gut aus und entlastet. Die Stimme profitiert langfristig. Gut, wenn Notare ihre Stimme aufwärmen, etwa auf dem Weg ins Büro im Auto laut singen oder sprechen.

Vor Mammutterminen: sanft das Brustbein abklopfen und durch die Lippen ‚brummeln‘. Auch Zungenbrecher schulen enorm. Sprechen Sie dreimal langsam und dreimal schnell: Der Potsdamer Postkutscher putzt den Potsdamer Postkutschkasten. Den Potsdamer Postkutschkasten putzt der Potsdamer Postkutscher.

Über die Interviewpartnerinnen:

 

Ariane Porzelius
Logopädin aus München, NLP-Trainerin (DVNLP),
Lee SilvermanVoice Treatment LSVT®-Therapeutin,
Marburger Konzentrationstrainerin, manuelle
Stimmtherapeutin und Gesundheitscoach

www.gutsprechen.de

Susanne Kleiner
Kommunikationsexpertin, Autorin,
Texterin, Trainerin (dvct) und Coach (dvct)
in Freiburg im Breisgau

www.susanne-kleiner.de

Quelle BECK Stellenmarkt 8/2020