Es ist unbestritten, dass Corona die Weiterbildung in Deutschland nachhaltig geprägt und verändert hat. Die starke Einschränkung von Präsenz-Veranstaltungen bewirkte, dass sich auch die Anbieter, die bisher digitalen Veranstaltungen kritisch gegenüberstanden, damit auseinandersetzen mussten. Technisch war die Umsetzung selten ein Problem. Auch ungeübte Teilnehmer gewöhnten sich schnell an das Seminar-Format und konnten sich kontaktlos weiterbilden. Online-Seminare erlebten einen Boom.
Beim Arbeitskreis für Wirtschafts- und Steuerrecht (AWS), der in jeder Corona-Phase Veranstaltungen in Präsenz-Form durchgeführt hat und bei dem die Teilnehmer die freie Wahl zwischen Präsenz- und Online-Format haben, sank die Präsenz-Quote auf 25%. Aktuell pendelt sie sich wieder bei 50% ein. Wobei die Schwankungsbreite hoch ist – abhängig z.B. vom Wetter oder gesundheitspolitischen Aussagen. Wodurch die Frage entsteht, wie geht es weiter? Präsenz, Online oder doch Hybrid?
Online-Seminare: Vorteile und Herausforderungen für Anbieter
Online-Seminare haben viele Vorteile für den Anbieter: Geringere Kosten, ein räumlich unbegrenzter Markt, einfache Organisation. Auch die Teilnehmer haben durch wegfallende Reisekosten und örtliche Flexibilität gute Argumente. Man kann auf beiden Seiten diesen Versuchungen kaum widerstehen. Doch selbst furios gestartete digitale Anwendungen wie z.B. das Audio-Netzwerk Clubhouse zeigen, dass jede Idee für den nachhaltigen Erfolg gut durchdacht sein will.
Denn kann man eine große Kundengruppe, die sich den persönlichen Kontakt, den bilateralen Austausch mit dem Dozenten und anderen Teilnehmern sowie eine Disziplinierung durch Anwesenheit wünscht, ignorieren? Sicher nicht. Denn Corona konnte einiges nicht ändern. Online-Seminare sind trotz aller technischer Innovation zum Networken noch immer eher ungeeignet. Darüber hinaus erfordern sie eine hohe Lernmotivation und Selbstdisziplin bei den Teilnehmern.
Letzteres zu erhalten, ist eine der Hauptherausforderungen für die Anbieter geworden und hat eine neue Berufsbezeichnung kreiert, den Online-Dozenten. Denn nur wenige Referenten sind Naturtalente. Es will gelernt sein, die virtuellen Tools zu nutzen, die Zuhörer einzubinden und die meist nicht vorhandenen Interaktion zu überspielen. Eine Übertragung von der realen in die digitale Seminarwelt kann, aber muss nicht erfolgreich sein.
Alternativen zu Online-Seminaren
Als Alternative bietet sich die Hybrid-Veranstaltung an, bei der die Präsenz-Veranstaltung gestreamt wird und die Online-Teilnehmer per virtueller Interaktion eingebunden werden, und scheint die perfekte Lösung. Doch der technische und organisatorische Aufwand ist hoch. Dennoch fühlen sich die digitalen Teilnehmer nicht immer voll integriert und die Präsenz-Teilnehmer von einer Kamera eingeschüchtert. Die allumfassende Lösung kann es keinem Beteiligten so richtig recht machen und wird deshalb ein Nischen-Produkt bleiben.
Also doch wieder verstärkt zurück zu reinen Präsenz-Formaten? Klar ist, Online wird Präsenz nicht ersetzen. Klar ist auch, dass wir nicht zu den Präsenz-Zahlen wie vor Corona zurückkehren werden. Corona hat jedoch dazu beigetragen, dass das Weiterbildungsangebot wieder etwas bunter und vielfältiger geworden ist. Zum Leidwesen der Anbieter, die mit der wachsenden Komplexität und Unsicherheit über die Kundenwünsche neue Herausforderungen haben. Der Gewinner ist der Kunde, der noch differenziertere Angebote, mehr Flexibilität und mehr Freiheit vorfindet. Gestern Präsenz, morgen online, und übermorgen „live information on demand“ – der nächste sich abzeichnende Trend.
Über den Autor:
Matthias Wehr
ist Geschäftsführer der BECKAKADEMIE AWS Arbeitskreis für Wirtschafts- und Steuerrecht oHG.