Familienrecht – Das pralle Leben

von Martin Weber

Es ist kompliziert. Überkommene Kategorien weichen auf oder verschwinden ganz: Glaubten viele noch vor wenigen Jahren, bei Fragen nach dem Familienstand, dem Beziehungsstatus oder dem Geschlecht auf einen starren Katalog möglicher Angaben festgelegt zu sein, ist das heute anders  – nicht nur in sozialen Netzwerken wie Facebook. Begrifflicher Wandel und terminologische Neuerungen sind aber nicht Ursache realer Veränderungen, sie bedingen diese nicht. Sie sind vielmehr die Reaktion auf gewandelte soziale Realitäten: So sind etwa Patchworkfamilien, gleichgeschlechtliche Ehen, polygame Beziehungen, Co-Parenting und (andere) neue Formen des Zusammenlebens oder der Elternschaft, die sich in kein vorgefertigtes Schema fassen lassen, keine Ausnahmeerscheinungen mehr.

Schöne, bunte Welt

Hinzu kommt die zunehmende Mobilität: Wenn eine Mexikanerin und ein Deutscher im Jahr 2000 in Las Vegas heiraten, dann tageweise in München und in Wien wohnen, sich im Jahr 2021 trennen und im Anschluss um Unterhalt und Umgang mit den gemeinsamen Kindern streiten, bereitet das sogar hartgesottenen, sattelfesten Juristen durchaus einiges an Kopfzerbrechen.

Mittendrin statt nur dabei

Und mittendrin im zwischenmenschlichen Beziehungswirrwarr: die Familienrechtler. Ein lebendiger, manchmal belächelter Stamm der Juristerei  – die Mitglieder so vielfältig wie die Mandantschaft. Eines haben die Familienrechtler aber gemein: Sie sind regelrechte Allrounder. Zahlenakrobatik  – etwa im Unterhaltsrecht  –, strategische Schachzüge – wie beim Zugewinn – und empathisches Vermitteln – speziell bei Sorge- und Umgangsstreitigkeiten – sind ihr täglich Brot.

Obwohl alle Familienrechtler mit den gleichen Zutaten kochen, schmeckt die Suppe immer anders: Geltendes Recht, Rechtsprechung und Literaturmeinungen sind Basisingredienzien, die immer zum Einsatz kommen (sollten). Was noch zugegeben wird, variiert bisweilen und hängt immer stark von der Persönlichkeit ab: Mal mehr, mal weniger an Empathie, Verhandlungsgeschick und Verständnis sind typische Komponenten.

Einige Familienrechtler gehören eher der etwas raueren Fraktion an, was bei heftigen Rosenkriegen, die mit harten Bandagen geführt werden, nicht zwingend von Nachteil sein muss. Andere Familienrechtler sind eher ausgleichend sowie mit einem Gespür für das Machbare und dem Wissen, dass eine gewonnene Schlacht nicht zwingend auch einen gewonnenen Krieg bedeutet, im Rüstzeug bestückt – und würden sich über eine derart martialische Terminologie vielleicht sogar empören.

Nah am Menschen

Denn im Familienrecht geht es regelmäßig um mehr nur als »Recht haben« und »Recht bekommen«. Man muss sich ganz und gar auf den Mandanten einlassen, ihm Raum geben, sich zu entfalten, und ihn mit all seinen individuellen Bedürfnissen begreifen. Egal, ob die weinende, misshandelte Ehefrau, die Angst hat, ihre Kinder nach einem überstürzten Auszug nicht versorgen zu können, oder der betrogene Ehemann, der sich trennen will, aber den Verlust der mit eigenen Händen errichteten Immobilie fürchtet, vor einem sitzt: Man muss immer aufmerksam zuhören, neugierig sein und den Mandanten in seiner konkreten Lebenssituation annehmen und »abholen«. Es bringt nichts, seine Mandanten mit gut gemeinten, aber pauschalen und floskelhaften Ratschlägen abzuspeisen oder ihm die eigenen Ansichten und vorgefertigte Lösungen überzustülpen. Universalrezepte gibt es nie, jeder Mandant braucht eine maßgeschneiderte Lösung für seine individuellen Bedürfnisse.

Über den Tellerrand

Wer meint, die Familienrechtler beschäftigen sich tagein, tagaus immer nur mit Scheidung, Unterhalt, Zugewinn und »irgendwas mit Kindern«, der irrt – und hat zugleich recht. Freilich machen diese Bereiche einen wesentlichen Teil des Tagesgeschäfts aus; doch nur derjenige, der in der Beratung und Gestaltung auch erheblich »out of the box« denken und Kreativlösungen unter Zuhilfenahme anderer  Rechtsbereiche wie dem Gesellschafts-, Sachen-, Sozial-, Erb und Arbeitsrecht finden kann, wird auf kurz oder lang Erfolg haben. Dies gilt etwa in Situationen, in denen es um die »Rettung« der Immobilie oder eines Unternehmens des Mandanten im Rahmen der Vermögensauseinandersetzung geht.

Gerade in gestalterischen Bereichen  – etwa der Ehevertragsgestaltung, in der es nicht um das »Scherbenkehren« nach dem Beziehungsende geht  – sind Kenntnisse in  anderen Rechtsbereichen essentiell. Ohne steuerrechtliche Kenntnisse ist eine sinnhafte Beratung zumeist gar nicht möglich.

Daneben spielen Bezüge zu ausländischem Recht – etwa bei binationalen Ehen – sowie in erheblichem Umfang die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte mit Blick auf die erhebliche Eingriffsintensität familienrechtlicher Bestimmungen eine entscheidende Rolle in der Rechtspraxis.

Am Puls der Zeit

Familienrecht ist immer auch ein Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen. Beständige Impulse – von der »Ehe für alle« über das »dritte Geschlecht« zu »Leihmutterschaften« – liefern ein Abbild sich wandelnder sozialer Anschauungen. Immer neue, außereheliche Formen des Zusammenlebens treten auf und lassen daran zweifeln, dass das Recht der nichtehelichen Lebensgemeinschaften heute noch zeitgemäß ist. Die Abkehr von der »Hausfrauenehe«, veränderte berufliche Realitäten, gesteigerte Mobilität, Patchworkfamilien und Co-Parenting-Modelle haben vielfältige Veränderungen und Verwerfungen auf Ebene des Umgangsrechts mit sich gebracht.

Ein Rechtsgebiet mit Zukunft

Über 35% aller Ehen in Deutschland gehen in die Brüche – das sind gut 150.000 Scheidungen pro Jahr. In jeder davon ist mindestens ein Rechtsanwalt beteiligt. Das Familienrecht ist ein Gebiet, das nicht aussterben wird – trotz zunehmender Digitalisierung und Legal Tech. Denn die Komplexität und Vielfalt der Fallgestaltungen und der individuellen Bedürfnisse der Mandanten lässt sich durch ein Computerprogramm nicht abbilden, es braucht hierfür die persönliche Ansprache und Unterstützung eines fachkundigen Familienrechtlers.

 

Über den Autor:

Martin Weber
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht