Zeitarbeit in hochqualifizierten Berufen

von Dr. Olaf Schmitt, PerConex

Zeitarbeit gilt schon seit geraumer Zeit als Antwort auf die Herausforderungen, die die moderne Wirtschaftswelt an Unternehmen stellt. Mag der Ruf von Zeitarbeitsunternehmen durch die immer wieder in der Branche anzutreffenden „schwarzen Schafe“ in Misskredit geraten, die Idee, durch Zeitarbeitskräfte flexibel auf wechselnden Personalbedarf reagieren zu können, ist nach wie vor genial. Außerdem bietet es Arbeitnehmern die Möglichkeit, nach längerer Arbeitslosigkeit oder nach der Elternzeit wieder in das Arbeitsleben integriert zu werden. Im höher qualifizierten Bereich waren es vor allem die Ingenieure, die hier eine Vorreiterrolle spielten. Der Bedarf an Akademikern ist jedoch auch in anderen Bereichen vorhanden. Hier gab es in der Vergangenheit aber wenig Angebote. Mittlerweile ist es im medizinischen Umfeld gang und gäbe, den Personalbedarf mit Zeitarbeitskräften (durchaus auch Ärzten) zu decken.

Recht neu auf dem Markt findet man so genannte „Projektjuristen“. Darunter versteht man in der Regel Volljuristen, die nicht dauerhaft für ein Unternehmen oder eine Kanzlei tätig sind, sondern die, wie der Name schon sagt, projektweise eingesetzt werden. Auf diese Weise kann z.B. ein Justiziar, der in der Rechtsabteilung für einige Monate ausfällt, ersetzt oder eine drängende Sonderaufgabe erledigt werden (man spricht in diesem Fall auch von juristischem Interims-Management). Meist kann dies nicht von der Rechtsabteilung mit eigenen Leuten in einem vernünftigen zeitlichen Rahmen selbst geleistet werden. Ein Budget für einen zusätzlichen Mitarbeiter existiert nicht und die Einschaltung einer Kanzlei ist zu teuer. Die technische Abwicklung des Einsatzes eines Projektjuristen läuft häufig in der klassischen Form der Zeitarbeit. Innovativ ist demnach nicht die Art, sondern die Qualifikation bzw. die Qualität der Dienstleistung.

Die Vorteile der Zeitarbeit beziehungsweise des Interims-Managements liegen für beide Seiten auf der Hand. Für den Arbeitsgeber zählt der Einsatz von Zeitarbeitskräften nicht zum so genannten Headcount und erhöht dadurch nicht die Fixkosten des Unternehmens. Dies ist insbesondere in wirtschaftlich schwierigen Zeiten von Bedeutung, zumal die auf diese Weise gewonnen Arbeitskräfte schnell, unbürokratisch und kostenfrei wieder abgebaut werden können. Der Einsatz befristeter Arbeitskräfte ist demgegenüber keine Alternative, da das Teilzeitbefristungsgesetz eine mehrmalige Befristung nur beschränkt zulässt. Außerdem unterlaufen dabei selbst professionell geführten Personalabteilungen nicht selten Fehler, die zu einer unbefristeten Anstellung führen können (wenn z. B. der Arbeitnehmer vor etlichen Jahren schon einmal für kurze Zeit bei dem betreffenden Unternehmen angestellt war). Auf der anderen Seite ist es auch in konjunkturell guten Zeiten für Unternehmen von Vorteil, auf unkonventionelle Weise die Personaldecke stärken zu können. Das kleine Unternehmen traut sich vielleicht nicht, die Fixkosten durch feste Neueinstellungen zu erhöhen und im Konzern sind die Wege zur Neueinstellung (Ausschreibung, Betriebsratszustimmung etc.) so lang, dass man durch den Einsatz der Zeitarbeitskräfte den bürokratischen Unwägbarkeiten elegant ausweichen kann. Zu guter Letzt muss das Unternehmen nur, wie allgemein üblich in der Zeitarbeit, die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden vergüten, d. h. Urlaubs- und Krankheitskosten entstehen nicht.

Doch auch der Arbeitnehmer, der sich in die Zeitarbeit begibt, ist keinesfalls Opfer von Ausbeutung (ein Vorurteil, das sich hartnäckig zu halten scheint). Er hat im Rahmen der Zeitarbeit die Möglichkeit, die angebotene Position unverbindlich zu testen. Außerdem kann er beobachten, ob der Arbeitgeber, bei dem er eingesetzt wird, zu ihm passt. Häufig entsteht aus solchen Konstellationen eine langfristige Zusammenarbeit. Das Lohnniveau in der Zeitarbeit entspricht zudem gerade im hoch qualifizierten Bereich weitgehend dem in entsprechender Festanstellung. In jedem Fall ist es für den Arbeitnehmer besser, eine feste Anstellung bei einem Zeitarbeitsunternehmen zu haben, als befristet oder als so genannter ewiger Praktikant zu arbeiten.

Das Unternehmen, das seinen Personalbedarf über die Zeitarbeit decken möchte, wird allerdings nur zufrieden sein, wenn die Zeitarbeitskräfte seinen Anforderungen genügen. Zum einen setzt dies voraus, dass der Dienstleister ein hohes Maß an Branchenkenntnis besitzt. Dies ist notwendig, um das Profil des gewünschten Mitarbeiters richtig auszuloten. Zum anderen muss er für die attraktiven Kandidaten selbst genügend attraktiv sein. Der Jurist möchte gerne mit einem Juristen seine berufliche Zukunft besprechen und der Arzt erwartet, dass sein Arbeitgeber über die Sorgen und Nöte des Klinikalltags Bescheid weiß. Nur wer dies als Dienstleister zu leisten vermag, wird entsprechend qualifiziertes Personal an Bord holen und seinen Kunden die geforderte Qualität an Mitarbeitern zur Verfügung stellen können.

Auch deshalb muss die Zeitarbeitsbranche weiter ihr Image verbessern. Es gehört noch immer Überzeugungskraft dazu, einem Akademiker die Vorteile einer Anstellung in der Zeitarbeit klarzumachen. Je mehr das gelingt, umso mehr kann auf die Flexibilitätsanforderungen der Unternehmen bei gleichzeitiger sozialer Absicherung der Arbeitnehmer eingegangen werden. Zudem handelt es sich faktisch meist um Interims-Management (eine Eingruppierung, mit der der potentielle Kandidat wesentlich besser leben kann), obwohl der Einsatz der Akademiker durchaus im Wege des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes erfolgt, weshalb richtigerweise im technischen Sinne von Zeitarbeit gesprochen wird.

Manch einem arbeitswilligen Akademiker ist die größere Unverbindlichkeit des zeitlich befristeten Einsatzes sogar entgegenkommend, wenn man zum Beispiel an Pensionäre denkt, die sich ein Zubrot verdienen und noch nicht nur mit der eigenen Rosenzucht beschäftigen wollen. Dass ein Unternehmen auf diese Weise einen reichen Erfahrungsschatz nutzbar macht, der ansonsten brach läge, ist ein weiterer positiver Aspekt von Zeitarbeit. Eine dauerhafte Festanstellung wäre für solche Personen nämlich keine Alternative. Dieser Punkt wird noch mehr an Bedeutung gewinnen, sobald sich der demographische Wandel stärker auswirken und der Fachkräftemangel intensiver zum Tragen kommen wird.

Die Zeitarbeit ist alles in allem ein Instrument, das, sofern es intelligent eingesetzt wird, für alle Beteiligten von Vorteil sein kann. Sie gibt Antwort auf viele Herausforderungen, vor die die komplexe, durch Globalisierung geprägte Wirtschaftswelt heute die Personalverantwortlichen stellt.

Quelle NJW 48/2010