Legal-Innovation und Legal-Tech als Überlebensstrategie in einem zunehmend gesättigten Markt

von André Scheffknecht, Vorstand, STP Informationstechnologie AG, Karlsruhe

Charles Robert Darwin veröffentlichte am 24. November 1859 einen Weltbestseller, der die Naturwissenschaft revolutionierte und aufrüttelte. Er beschrieb darin die Entstehung der Arten. Schnell wird klar, dass nicht die Art überlebt, die „die stärkste“ im Sinne von Kraft ist, sondern diejenige, die sich am schnellsten an veränderte Lebensbedingungen anpassen kann. Diese schnelle Kombination aus Erkenntnis, Kreation und Aktion nennen wir heute auf Unternehmen übertragen Innovation. Und Innovation ist notwendig auf einem zunehmend gesättigten Markt.

Bedürfnisse des Mandanten

Der Rechtsmarkt wird bestimmt vom Bedarf des Mandanten. Dieser will sich schützen, seine Unternehmen und/oder sich vorbereiten oder auch verteidigen. Da geht es den Anwälten nicht anders als anderen Branchen – die Zielgruppe bestimmt und wählt das Produkt. Das, was der Mandant wünscht, ist das, was der Mandant kauft. Aber, zur Frage des „Was“ gesellt sich zunehmend die Frage des „Wie“. Hierüber bringt der Markt mehr und mehr Innovatives hervor. Auf einmal gibt es Rechtsberatung zum vermeintlichen Festpreis und der Anwalt muss schnell sein und zudem die betriebswirtschaftlichen Hintergründe seiner Unternehmensmandanten und die Bedürfnisse daraus verstehen. Der beste Unternehmensanwalt ist der, der nicht nur Berater ist, sondern Branchenkenner mit Unternehmens-Überzeugung.

Gerade weil sich der Markt verdichtet, neue Berufsträger auf den Markt strömen und das Rechtsberatungsgesetz aufgeweicht wird, steigt der Konkurrenzdruck. Kanzleien gehen damit unterschiedlich um. Manche setzen auf Standardisierung, andere auf Dynamisierung. Fest steht, dass der Mandant heute auswählen kann, wen er beauftragen möchte und er wird den wählen, dem er glaubt, vertrauen zu können. Komponenten wie „Verbundenheit“ im Sinne von „er hat uns schon immer beraten“ rücken in den Hintergrund. Der Mandant möchte das Beste zum bestmöglichen Preis.

Bedürfnisse der Kanzleien

Aus dieser Haltung eines kompetenten, informierten und zunehmend kritischen Mandanten ergeben sich für Kanzleien völlig neue Herausforderungen. Mandanten werden zu Innovationstreibern und zwingen Kanzleien zur Fokussierung und vor allen Dingen zum Perspektivwechsel. Welche Bedürfnisse ergeben sich für Kanzleien aus den neuen Herausforderungen?

Kanzleien benötigen heute ein stark betriebswirtschaftliches Denken. Dieses durchdringt nicht nur das Unternehmen Kanzlei, sondern beeinflusst zum Beispiel auch die Auswahl der Mandanten und der daraus resultierenden externen Kommunikation. Kann ich als Kanzlei z. B. eine echte Zielgruppenselektion vornehmen und mir meine Mandanten selbst wählen? Nun – ich kann es zumindest versuchen und muss das auch, denn ansonsten binden vielleicht Anfragen teure Berufsträger-Zeit, die niemals rentabel bearbeitet werden können. Viele Kanzleien rechtfertigen ihren Unwillen zu klaren Fokussierungen und Tätigkeitsschwerpunkten mit dem Argument der „Mischkalkulation“. Allerdings weiß keiner genau, was dahinter steht und wieviel Schaden im Zweifel dieses Argument wirtschaftlich anrichtet.

Kanzleien müssen heute effizient sein, müssen auf Akten schnell zugreifen können, müssen immer und sofort Transparenz darstellen können und müssen mit dem Mandanten smart kommunizieren. Zudem müssen sie zuverlässig sein, stets flexibel und dürfen natürlich nicht zuviel kosten. Legal-Tech und auch Innovation auf dem Rechtsmarkt können helfen, die Wünsche des Mandanten bestmöglich abzubilden und den Mandanten passgenau zu beliefern. Er möchte in seinem Bedürfnis erkannt und dort abgeholt werden, er möchte aktiv geschützt werden und so bestimmen die Bedürfnisse der Mandanten letztlich die zwingend notwendigen Bedürfnisse der Kanzleien. Sie sind Maßstab für wirtschaftlichen Erfolg. Um sich nicht zu verzetteln, brauchen Kanzleien heute Strategien. Und die entwickelten Strategien müssen von professionellen IT-Systemen getragen werden, die dem Mandanten all das bieten, was er für den Erfolg braucht, und die gleichzeitig eine Steuerung der Kanzlei zulassen.

Die Folgen für den Rechtsmarkt

Die aktuellen Entwicklungen auf dem Rechtsmarkt hinterlassen Spuren. Die Folgen sind noch nicht absehbar, aber man kann sie ahnen.

Der Markt dynamisiert sich durch den Einsatz neuester Technologie. Dabei soll die Technologie den Anwalt in seiner Arbeit unterstützen, aber auch die Kommunikation mit dem Mandanten schneller und einfacher machen. Probleme sollen schneller und effizienter gelöst werden. Auch komplexe Mandate sollen gut bearbeitbar sein.

Weitere Folge für den Rechtsmarkt ist, dass sich langsam eine Legal-Tech-Start-up-Szene in Deutschland etabliert. Alle haben ein Ziel: schneller und besser Mandate akquirieren und bearbeiten, Vertrauen und Verbindlichkeit kreieren und auf kürzestem Wege Rechtssuchenden und Rechtsdienstleister im Matching-System zusammenführen.

Innerhalb der Kanzleien tritt das wirtschaftliche Denken und Handeln in den Vordergrund. Mandanten wollen Transparenz – diese kann sich nur aus perfekt organisierten inneren Abläufe ergeben. Der Einsatz der richtigen EDV-Systeme, das schnelle Liefern relevanter Zahlen und so das aktive Kanzlei-Controllings sind wichtige Punkte.

Fazit

Der Anwaltsmarkt in Deutschland gewinnt an Entwicklungsund damit an Innovationsdynamik. Hier spielen Innovationstreiber wie Mandanten, die Einführung des elektronischen Anwaltspostfaches (beA), aber auch das Bedürfnis der Kanzleien eine Rolle, mit zu den Gewinnern zu gehören. An Legal-Tech und Legal-Innovation kommt heute keiner mehr vorbei. Wer sich nicht informiert und seine unternehmerischen Entscheidungen an den Bedürfnissen des Marktes ausrichtet, kann aussterben. Aber auch im Scheitern liegt Potential, denn nach Darwin gäbe es keinen evolutionären Fortschritt ohne die kreative Kraft des Todes.

Quelle NJW 25/2016