Die anwaltliche Zusammenarbeit „geht online“

von Dr. Jan Simon Raue, Wirtschaftsingenieur, Markus Veith, Volks- und Betriebswirt und Dr. Alexander Kihm, Wirtschaftsingenieur, den Gründern von AdvoAssist

Seit jeher arbeiten Rechtsanwälte kollegial zusammen und helfen sich gegenseitig aus. Typische Beispiele sind Bürogemeinschaften, die gegründet werden, um verfügbare Ressourcen gemeinsam effizienter zu nutzen. Darüber hinaus werden Terminsvertretungen in Orten mit großer Entfernung zum eigenen Kanzleistandort von Kollegen durchgeführt, Mandate an versierte Kollegen anderer Rechtsbereiche weitergegeben oder es wird sich bei speziellen Rechtsfragen mit Anwaltskollegen ausgetauscht.

Diese Kooperationen zwischen Anwälten sind im Regelfall eine bereichernde Facette der anwaltlichen Praxis, deren Vorteile auf der Hand liegen: Man kann Kanzleiressourcen besser ausnutzen oder, ohne in anderen Regionen bzw. Rechtsbereichen tätig zu sein, seinen Mandanten durch die Hilfe von Kollegen einen schlagkräftigen, juristischen Beistand „aus einer Hand“ anbieten. Allerdings waren diese Kooperationen auch immer mit Nachteilen und Unsicherheitsfaktoren belegt: Wie finde ich einen geeigneten Partner und gerate nicht an ein „schwarzes Schaf“? Wie zeitintensiv ist es, einen verfügbaren Kollegen zu finden? Und nicht zuletzt die unangenehme Frage: Wie einigen wir uns auf ein Honorar, das wir beide für angemessen halten?

Um diesen Nachteilen zu begegnen, organisieren immer mehr Rechtsanwälte ihre Zusammenarbeit mit anderen Kollegen „online“. Dies belegt eine Studie aus dem letzten Jahr mit über 600 befragten Rechtsanwälten aus Deutschland (Raue/Kihm: Rechtsmarkt 2015: Online-Dienstleistungen für Rechtsanwälte – Eine AdvoAssist-Studie. Berlin 2014). Das Internet ermöglicht es, unkompliziert Kollegen in ganz Deutschland aus allen Rechtsgebieten zu finden. Aufwändiges Telefonieren und Terminabstimmungen entfallen, Bewertungen der bisher geleisteten Arbeit der Kooperationspartner gewährleisten das notwendige Qualitätsniveau und Preisverhandlungen erfolgen online – ohne unangenehmes „Gefeilsche“ – oder entfallen ganz durch pauschale Honorarmodelle.

So nutzen über 80% der befragten Anwälte bereits heute Online-Terminsvertretung (z. B. AdvoAssist.de) oder geben Mandate, die sie nicht selbst bearbeiten können oder wollen, über Internetplattformen an geeignete Kollegen weiter. Doch die gegenseitige Online-Beauftragung zwischen Anwälten geht bereits heute über einzelne Aufträge hinaus. Knapp 20% der Studienteilnehmer suchen neue Mitarbeiter (z. B. Anwälte oder ReNos) für die eigene Kanzlei über das Internet. Weitere 15% geben an, zeitnah Personal online suchen zu wollen. Dabei sehen die Studienautoren die Zukunft der anwaltlichen Personalsuche nicht in Massen-Personalsuchseiten (wie Monster.de oder Stepstone.de), sondern in speziell auf anwaltliche Bedürfnisse zugeschnittenen Angeboten. So zeigen die Studienergebnisse, dass sich viele Rechtsanwälte bei großen Massen-Recruiting-Plattformen nicht gut aufgehoben fühlen und bewusst Stellenmärkte „von Anwälten für Anwälte“ aufsuchen.

Auch der fachliche Austausch zwischen Kollegen findet heute schon zum Teil „online“ statt. So lesen über 60% der Befragten „regelmäßig“ oder „gelegentlich“ juristische Blogs von Kollegen (z. B. Jurablogs.com, Lawblog.de) und rund 32% der Befragten geben an, sich gelegentlich oder regelmäßig mit Kollegen in Fachforen auszutauschen. Dabei ist die Tendenz steigend: 31% der Befragten tauschen sich heute noch „offline“ aus, planen jedoch den Einstieg in Diskussionen mit Kollegen über das Internet. Dies ermöglicht es Rechtsanwälten, juristische Gutachten aller Rechtsbereiche von einem spezialisierten Kollegen online anzufordern oder gegen Honorar selbst zu erstellen. Dabei kann jeder teilnehmende Anwalt alle offenen Fragen einsehen und sich bei Interesse für die Beantwortung bewerben. Der fragende Anwalt wählt dann einen Kollegen aus
den Bewerbern aus und beauftragt diesen mit der Beantwortung.

Für die Zukunft eröffnet das Internet dem Anwaltsberuf in Deutschland somit ganz neue Gestaltungsmöglichkeiten – ohne auf eine qualitative und ganzheitliche Rechtspflege verzichten zu müssen. Dank dem speziell auf Juristen zugeschnittenen Dienstleistungsangebot im Netz können Anwälte losgelöst von Zeit und Raum ganzheitliche Rechtsberatung anbieten. An den Stellen, wo Unterstützung von anderen Anwälten benötigt wird, welche in den eigenen Kanzleistrukturen nicht vorhanden ist, kann diese komfortabel im Netz eingeholt werden. Sei es die Organisation einer Terminsvertretung, die Beantwortung einer fachfremden Spezialfrage oder aber die Weitergabe eines kompletten Mandates an einen spezialisierten Kollegen mit Sitz in der Nähe der eigenen Mandantschaft. Im Internet kooperierende Anwälte können sich somit deutlich intensiver auf die eigene Kanzlei und die Weiterentwicklung ihrer Kernkompetenzen konzentrieren. Je mehr Anwälte in Deutschland und unter Umständen sogar über die Ländergrenzen hinaus online miteinander aktiv verbunden sind, desto effizienter und qualitativer kann die Zusammenarbeit innerhalb der Anwaltschaft über das Internet funktionieren.

In einigen Jahren wird auch die Rechtsberatung der Endkunden sehr zufriedenstellend über das Internet abgewickelt werden. Erste Ansätze dafür gibt es bereits schon. Auch wenn frühe Nutzerberichte zweigeteilter Meinung sind – bereits mittelfristig werden Mandanten die von Zeit und Raum gelöste Interaktion mit ihrem Anwalt schätzen und vermutlich sogar verlangen. Und sicherlich werden sich bis dahin seriöse Anbieter mit professionellen Internetplattformen durchsetzen, die die Zusammenarbeit zwischen Mandanten und ihrem Rechtsbeistand ermöglichen.

Quelle BECK Stellenmarkt 10/2015