Themenschwerpunkt Referendariat: Die Klausur im Strafrecht

von Jan-Rasmus Schultz, Diplom-Jurist und Promotionsstudent an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Im Gegensatz zu den Klausuren des ersten Examens stellt das zweite Examen die angehenden Juristen vor völlig neue Herausforderungen: So ist zwar einerseits nicht mehr erforderlich, dass jede Mindermeinung dargestellt und thematisiert wird, da im zweiten Examen der Meinung des Bundesgerichtshofes gefolgt und zudem stets ein Fach-Kommentar zu Rate gezogen werden kann.

Dafür wird andererseits von den Klausurbearbeitern erwartet, dass sie sowohl das einschlägige Prozessrecht, das im ersten Examen lediglich überblicksweise geprüft wurde, sicher beherrschen als auch die im Vergleich zum ersten Staatsexamen wesentlich umfangreicheren Angaben im Sachverhalt der jeweiligen Aufgabenstellung entsprechend aufarbeiten können. Am Ende des Referendariats müssen die angehenden Juristen daher unter Beweis stellen, dass sie nunmehr auch mit der praktischen Rechtsanwendung vertraut sind, komplexe Sachverhalte also gliedern und praxisgerecht lösen können. Die entsprechenden Klausurkonstellationen bestehen hierbei insbesondere aus dem Anfertigen von staatsanwaltlichen Abschlussverfügungen, Strafbefehlen und Strafurteilen.

Die staatsanwaltliche Abschlussverfügung

Werden die angehenden Juristen in ihrem zweiten Staatsexamen damit beauftragt, die abschließende(n) Verfügung(en) der Staatsanwaltschaft zu entwerfen, so ist die Lösung grundsätzlich in zwei bis drei Abschnitte zu gliedern, namentlich die Formulierung der Verfügung, die Auflistung der die Verfügung tragenden Gründe sowie gegebenenfalls das Erstellen eines Hilfsgutachtens. Zunächst ist jedoch der, teilweise sehr umfangreiche, Sachverhalt zu gliedern und in Tatkomplexe einzuteilen, damit die Bearbeiter sämtliche relevanten Aspekte in die Lösung der Klausur aufnehmen und auch an der entsprechenden Stelle verorten können. Der Sachverhalt  besteht typischerweise aus Aktenvermerken, Zeugenvernehmungen, Beschuldigtenvernehmungen und Registerauszügen, etwa aus dem Bundes- und Verkehrszentralregister.

Diese sind in einem zweiten Schritt daraufhin zu untersuchen, ob das Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten gemäß § 170 Absatz 2 Satz 1 der Strafprozessordnung (StPO) eingestellt wird oder nicht.
Maßgeblich hierfür ist die Frage, ob der Beschuldigte mit der zur Anklageerhebung erforderlichen Sicherheit überführt werden kann. Anhand dieser Fragestellung sind sodann die Verfügung zu formulieren und die maßgeblichen Entscheidungsgründe aufzulisten. Im Anschluss daran ist, abhängig von dem jeweiligen Sachverhalt, ein Hilfsgutachten zu formulieren, in dem beispielsweise Ausführungen bezüglich der Höhe der Tagessätze gemäß § 40 Absatz 2 des Strafgesetzbuchs enthalten sein können, sofern der Beschuldigte zu einer Geldstrafe verurteilt wird.

Das Strafbefehlsverfahren

Das Strafbefehlsverfahren enthält die Besonderheit, dass der Strafbefehl gemäß § 410 Absatz 3 StPO einem rechtskräftigen Urteil gleichsteht. Die Aufgabe, mit der sich die Bearbeiter auseinanderzusetzen haben, besteht daher regelmäßig in der Prüfung etwaiger Rechtsbehelfe, die gegen den Strafbefehl gerichtet sind und sich entweder auf den Schuldspruch und die verhängte Strafe oder aber nur auf die verhängte Strafe beziehen.

Zu prüfen wären dann zunächst die Erfolgsaussichten eines Einspruchs gemäß § 410 Absatz 1 Satz 1 StPO. Oftmals ist die Prüfung allerdings nicht auf den Einspruch gemäß § 410 Absatz 1 Satz 1 StPO beschränkt: Enthält der Sachverhalt den Hinweis, dass der Strafbefehl aus Sicht des Gerichtes zulässig ist und dieses daraufhin gemäß § 411 Absatz 1 Satz 2 StPO einen Termin zur Hauptverhandlung anberaumt hat, zu dem jedoch weder der Beschuldigte selbst noch dessen Verteidiger erschienen sind, erlässt das Gericht ein Verwerfungsurteil gemäß § 412 StPO. Durch diese Angabe im Sachverhalt erweitert sich der Prüfungsumfang erheblich, da die Bearbeiter nunmehr sämtliche gegen das Verwerfungsurteil gerichteten Rechtsbehelfe prüfen müssen. Hierbei ist nicht nur die Ausarbeitung der einzelnen Rechtsbehelfe wie der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, der Berufung oder der Sprungrevision problematisch, sondern auch das Verhältnis der einzelnen Rechtsbehelfe zueinander.

Das Strafurteil

Während die anwaltliche Abschlussverfügung aus Sicht der Staatsanwaltschaft und das Strafbefehlsverfahren regelmäßig aus Sicht des Strafverteidigers zu lösen sind, nehmen die Bearbeiter im Rahmen des Strafurteils die Rolle eines Richters ein. Dies bedeutet nicht nur, dass anstatt des Gutachtenstils nunmehr der Urteilsstil gefordert ist. Die Rechtsreferendare müssen sich darüber hinaus auch mit der Beweisaufnahme, der Beweiswürdigung sowie der jeweiligen Strafzumessung auseinandersetzen und werden darüber hinaus oftmals mit bewusst zweideutigen Sachverhaltsangaben konfrontiert.

Die Strafrechtsklausuren im zweiten Staatsexamen erfordern daher zum einen die sichere Kenntnis des materiellen und vor allem auch des prozessualen Rechts und zum anderen die Fähigkeit, umfangreiche Sachverhalte gliedern und in Handlungskomplexe aufteilen zu können. In Anbetracht der umfassenden Vorbereitung in den Arbeitsgemeinschaften und der Strafrechtsstation werden die angehenden Juristen auf diese Aufgaben jedoch auch frühzeitig und umfangreich vorbereitet.

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Quelle BECK Stellenmarkt 12/2017