Vom Wege abgekommen
Melanie Jochheim
Kriminalrätin
Ich erinnere mich noch genau an meinen ersten Tag an der Universität. Ich betrat die heiligen Hallen mit dem felsenfesten Vorsatz, in kürzester Zeit meinen Abschluss zu machen und nach dem zweiten juristischen Staatsexamen Fachanwältin für Familienrecht zu werden. Ich sah diesen Weg direkt vor mir. Wenn ich nun zurückblicke, sehe ich einen Weg voller kleiner, verschlungener Pfade, die ich teils durch Zufall, teils durch Bauchgefühl gefunden und beschritten habe. Der geradlinige Zielpfad „Fachanwältin für Familienrecht“ ist kaum noch zu erkennen. Irgendwann habe ich ihn verlassen. Die Polizei und ich haben uns durch einen Zufall gefunden, kurzfristig verloren, nie vergessen und wiedergefunden. Und heute bin ich keine Fachanwältin für Familienrecht, sondern Führungskraft bei der Polizei Nordrhein-Westfalen und leite eine Kriminalinspektion mit knapp 100 Mitarbeiter*innen.
Wie alles begann
2012 suchte ich nach einem spannenden Platz für mein Verwaltungspraktikum. Bei einem Gespräch mit einer Kommilitonin erfuhr ich, dass ich mein Praktikum bei der Polizei absolvieren könne. Das klang jedenfalls nach Abwechslung, Spannung und neuen Erfahrungen. Also bewarb ich mich für mein Praktikum bei der Polizei und erlebte genau das; Abwechslung, Spannung und sammelte zahlreiche neue Erfahrungen. Es war eine tolle Zeit. In meinem Hinterkopf begann eine Idee für meine berufliche Zukunft zu wachsen. Volljuristin bei der Polizei.
Der Klassiker
Nachdem ich dann auch noch meine Verwaltungsstation im Referendariat bei dem Landeskriminalamt NRW absolviert habe, könnte man denken, dass ich nach meinem zweiten Staatsexamen direkt meinen Einstieg bei der Polizei gemacht habe. Nun, was soll ich sagen. Weit gefehlt! Nach Abschluss meines zweiten Staatsexamens wurde ich Rechtsanwältin im Bereich Zivilrecht und durfte in einer tollen mittelständischen Kanzlei arbeiten. Und doch sitze ich jetzt hier an meinem Schreibtisch in einer Polizeibehörde. Denn als mir eines Tages die Stellenausschreibung für den Direkteinstieg bei der Polizei NRW über den Weg lief, hörte ich einfach auf mein Bauchgefühl und brachte meine Bewerbung auf den Weg. Ich absolvierte ein dreitägiges Einstellungsverfahren und schaffte es. Ich bekam die Zusage. Ich sollte Führungskraft bei der Polizei werden.
Neue Welt
Wenige Monate später begann die zweieinhalbjährige Einarbeitungszeit für Direkteinsteiger und ich fand mich in einer ganz neuen Welt wieder. Anstatt mit Robe in einem Gerichtssaal stand ich nun in einer Uniform auf einem Ausbildungsgelände der Polizei. Die Einführungsphase setzt sich aus verschiedenen Bausteinen zusammen, so dass man die Polizei in all ihren zahlreichen Facetten kennenlernen kann. Meinen sicheren Büroalltag habe ich für einen kurzen Zeitraum verlassen. Dann hieß es, mit den Kolleg*innen rauszufahren und zwar im Früh-, Spät- und Nachtdienst. Auch das ist ein Baustein der Einführungsphase. Lernen, was tägliche Polizeiarbeit auf der Straße bedeutet. Lernen, wie die Kriminalpolizei ermittelt. In dieser Zeit fluteten jeden Tag unfassbar viele Eindrücke auf mich ein, ich habe jeden Tag vieles dazugelernt und viele engagierte und hilfsbereite Kolleg*innen kennen- und schätzen gelernt. Durch verschiedene Tutor*innen habe ich gelernt, was Personalführung bedeutet.
Staying
War es immer einfach? Ganz ehrlich: Nein! Aber wo ist es das schon!? Wenn man ehrlich ist, hat wohl jeder Beruf gute und herausfordernde Seiten. Auch wenn ich bei der Kriminalpolizei keinen Wechseldienst mehr machen muss, habe ich zum Teil keine klassischen Bürozeiten. Zu meinen klassischen Bürozeiten gehören auch Bereitschaftsdienste, in denen mein Handy auch mitten in der Nacht klingeln kann. Wenn ein großer Einsatz bevorsteht, den ich leite, beginnt mein Arbeitstag teilweise vor 05:00 Uhr. Für mich überwiegen trotzdem die guten Seiten. Ich bin geblieben und freue mich, dass ich einen Arbeitsalltag habe, der die Bezeichnung „Alltag“ nicht verdient hat. Jeder Tag ist anders. Es stellen sich regelmäßig neue Herausforderungen, denen ich aber nie alleine begegnen muss. Ich darf mich stets auf ein zuverlässiges Team verlassen, mit dem ich mich immer neuen fachlichen Fragestellungen stellen kann. Das ist vielleicht ein gemeinsamer Nenner meiner Tage. Ich darf jeden Tag mit Menschen zusammenarbeiten.
Ich bin froh, dass ich meinen ursprünglichen Pfad verlassen habe und den Mut hatte, die unvorhersehbaren Abzweigungen zu nehmen, die mich auf meinen neuen Weg geführt haben.