Qualifizierte Dolmetscher und Übersetzer im mehrsprachigen Rechtsverkehr – eine Anmerkung zum KostRÄG 2021

von Dr. Andreas Conow

Dolmetscher und Übersetzer übertragen Aussagen von einer Sprache in eine andere. Dolmetscher erbringen ihre Leistungen mündlich, Übersetzer schriftlich. Im Kern erfordern die Tätigkeiten drei Schritte, und zwar Verstehen, Vergleichen und Formulieren. Das sind verkürzt gesprochen 2/3 Mitdenken und 1/3 Formulieren. Etwas ausführlicher:

Verstehen

Begriffe, Sätze und Argumentationsketten müssen sprachlich erfasst und im rechtskulturellen Kontext des Urhebers richtig gedeutet werden. Ob der englische Begriff termination den Ablauf der Vertragslaufzeit, eine einseitige Kündigung oder eine vereinbarte Vertragsauflösung bezeichnet, erschließt sich erst im vertraglichen Kontext. Der italienische Begriff imputato meint wörtlich den Beschuldigten im Strafprozess, in poetischen Schriftsätzen italienischer Anwälte ab und zu auch den Beklagten im Zivilprozess, das wird der Sprachmittler unpoetisch und verständlich darstellen. Als Auftraggeber darf man auch erwarten, dass der Sprachdienstleister die Abkürzung EGBGB nicht zum Bürgerlichen Gesetzbuch der Europäischen Gemeinschaft umdeutet. Zum Handwerkszeug der Dolmetscher und Übersetzer gehören deshalb rechtliches Hintergrundwissen, Recherche und Auslegungskompetenz.

Vergleichen

Rechtsbegriffe und Konzepte verschiedener Rechtsordnungen sind angesichts abweichender kultureller Kontexte selten vollständig deckungsgleich. Der Sprachmittler muss funktionale Ähnlichkeiten im Zielkontext finden, um die zu übertragende Aussage sinnvoll einzuordnen. Dies erfordert Hintergrundwissen zur zweiten Rechtsordnung und die Befähigung zur funktionalen und kontextabhängigen Rechtsvergleichung. Zum Beispiel bezeichnet die decadenza im Italienischen einen Rechtsverlust nach Zeitablauf; sie kennt allerdings keine Hemmung oder Unterbrechung und ist deshalb von der Verjährung (prescrizione) zu unterscheiden; anders als die deutsche Verwirkung erfordert sie kein zusätzliches Umstandsmoment und wird deshalb üblicherweise als Verfall übersetzt. Die Rechtsvergleichung liefert nicht in jedem Fall fertige Lösungen, verdeutlicht aber die Schwierigkeiten einer inhaltsgetreuen Übertragung.

Formulieren

Begriffliche und konzeptuelle Unterschiede überbrückt der Sprachmittler nötigenfalls durch Umschreibungen oder ergänzende Anmerkungen. Verständliche Formulierungen in der Zielsprache erfordern gute allgemeinsprachliche Fertigkeiten, um auch Satzungeheuer mit vielen Nebensätzen und Querbezügen in eine ansprechende und korrekte Form zu bringen. Zur Vermeidung von Missverständnissen ist die Vertrautheit mit der Rechtssprache unabdingbar: Die Verurteilung der Beklagten wird beantragt und nicht erbeten, Gesetze werden erlassen und nicht erteilt, der Mangel wird geheilt und nicht kuriert usw.

Gesetzliches Leitbild und behördliche Praxis der Auftragsvergabe an die Dolmetscher und Übersetzer

Im Rechtsverkehr tätige Dolmetscher und Übersetzer benötigen wie gesehen weitreichende sprachliche und juristische Kompetenzen. Sie müssen sensible Daten vertraulich behandeln, Fristen und Termine einhalten und ein berufliches Selbstverständnis an den Tag legen, welches den Interessen, Rechten und Aufgaben der beteiligten Parteien und Behörden gerecht wird. Neben einer guten Allgemeinbildung erfordert ihre Leistung eine angemessene Büroausstattung in Form von Hard- und Software, Wörter- und Fachbüchern.

Qualitätssicherung in der Vorstellung des Gesetzgebers

Nach den verschiedenen landesrechtlichen Vorschriften werden geeignete Sprachmittler erst nach einer entsprechenden Prüfung öffentlich bestellt und beeidigt (bzw. „vereidigt“ oder „ermächtigt“). Geprüft werden Sprach- und Rechtskenntnisse gleichermaßen. Die Beeidigung gilt bundesweit und führt zur Eintragung in der ebenfalls bundesweiten Justizdatenbank für Dolmetscher und Übersetzer (www.justiz-dolmetscher.de). Das JVEG regelt zudem die angemessene Vergütung der Tätigkeit für Gerichte, Staatsanwaltschaften, Finanz- und Verwaltungsbehörden.

Umsetzungsproblem: Agenturen

Das gesetzliche Leitbild wird von vielen Behörden ernstgenommen, was zu einer für beide Seiten vorteilhaften Zusammenarbeit führt. Den mit der Auftragsvergabe betrauten Geschäftsstellen fehlen oft jedoch Zeit, Personal und Motivation, um sich durch die Liste der beeidigten Dienstleister zu telefonieren. Sie beauftragen dann für alle möglichen Sprachen bequem dieselben privaten Agenturen, die allenfalls 2/3 und regelmäßig nur 1/3 der gesetzlichen Vergütung an den jeweils ausführenden Sprachmittler weiterreichen. Für die daraus häufig resultierenden Stundensätze unter 30 € brutto kommen immer wieder auch unqualifizierte Dienstleister zum Einsatz. Welche Personen über die Agentur Einsicht in vertrauliche Unterlagen erhalten, bleibt intransparent. Dass man für 1/3 des angemessenen Preises neben dem 1/3 Formulieren selten 2/3 juristisches Mitdenken einkaufen wird, zeigt eine dankenswert ehrliche Stellenanzeige einer Agentur von Ende 2020, in welcher freie Mitarbeiter als Gerichtsdolmetscher für den Raum Nürnberg gesucht werden: „Erfahrung und Rechtskenntnisse von Vorteil, aber kein Muss. Beeidigung nicht erforderlich, geschieht vor Ort. Gerne auch Studenten bzw. Berufstätige mit perfekten Fremdsprachenkenntnissen.“

Umsetzungsproblem: Rahmenvereinbarungen

In einigen Bundesländern schließen die Behörden mit den Sprachmittlern Rahmenvereinbarungen nach § 14 JVEG, in denen die Vergütungssätze der §§ 9 – 11 JVEG von vorneherein um etwa 10 bis 30% gekürzt werden, obwohl § 14 allein der Vereinfachung der Abrechnung dient4 und nicht der Gebührensenkung. Die tatbestandlich vorausgesetzte häufige Heranziehung wird ebenfalls ignoriert, im Gegenteil werden geschlossene Vereinbarungen nicht selten zur Voraussetzung der Beauftragung. In letzter Zeit schließen Gerichte entgegen dem Wortlaut des § 1 JVEG sogar Rahmenvereinbarungen mit Agenturen, was den Preis noch weiter senkt und die beeidigten Dienstleister des Standorts faktisch vom Markt drängt. Das Bundesjustizministerium hätte die Dolmetscher und Übersetzer deshalb gerne aus dem Anwendungsbereich des § 14 JVEG herausge nommen,5 dank des Widerstands der Länder wurde die Norm im Zuge des KostRÄG 2021 aber unverändert beibehalten. Soweit die Dolmetscher und Übersetzer in der Außendarstellung zum KostRÄG 2021 überhaupt auftauchen, findet sich zwar der Hinweis auf die begrüßenswerte Anhebung der Gebührensätze; die weitreichende behördliche Weigerung, den beeidigten Dienstleistern diese Sätze tatsächlich zu bezahlen, wird jedoch sorgsam verschwiegen.

Lösungsvorschläge im Rahmen einer mehrstufigen Qualitätssicherung

Der Gesetzgeber bezweckt eine dauerhafte Funktionstüchtigkeit der mehrsprachigen Rechtspflege. Einheitliche Standards für die bundesweit geltende Beeidigung wären sinnvoll und sind zumindest für die Dolmetscher in Planung. Die Direktbeauftragung der beeidigten Sprachmittler müsste als zwingender Regelfall gesetzlich verankert werden, damit die vorgesehene Vergütung bei den Dienstleistern ankommt. Der Abschluss von Rahmenvereinbarungen sollte unterbunden oder durch das Verbot der Gebührensatzunterschreitung begrenzt werden. Für nicht vom JVEG umfasste Aufträge der Polizei müsste eine angemessene Vergütung gesetzlich geregelt werden.

Umsetzung

In der Praxis wird die Vereinfachung für die Geschäftsstellen entscheidend sein. Die bundesweite Datenbank der Dolmetscher und Übersetzer müsste mit differenzierten Informationen zu Tätigkeitsschwerpunkten und genereller Verfügbarkeit der Dienstleister ausgestattet und besser in die Verwaltungsabläufe eingebunden werden, um die wilde Führung eigener Listen in den Behörden zu unterbinden.

Im elektronischen Rechtsverkehr könnte der gesamte Beauftragungsprozess deutlich erleichtert werden, indem die Datenbank zur umfassenden Vergabeplattform ausgebaut wird: Behörden (und auch Anwälte und Notare) könnten unter Angabe von Auftragsumfang und Frist eine nach Entfernung abgestufte Voranfrage an eine Vielzahl beeidigter Dienstleister senden, die daraufhin ihre Verfügbarkeit mitteilen. Auftraggeber hätten in regelmäßig kurzer Zeit eine Liste verfügbarer Dienstleister, aus der sie einen geeigneten und möglichst ortsnahen aussuchen können, welchem sie erst dann die vertraulichen Daten und Dateien übermitteln. Größere Aufträge ließen sich aufteilen und die Übersendung elektronisch signierter Übersetzungen über ein gesondertes Postfach analog dem beA würde den Postverkehr vereinfachen.

Kontrolle

Angesichts der vom BDÜ und anderen Verbänden seit Jahren angesprochenen Probleme müssten die Aufsichtsbehörden engmaschig prüfen, von wem und zu welchen Preisen die behördlichen Aufträge effektiv ausgeführt werden. Wünschenswert wäre außerdem ein insgesamt vertiefter Dialog zwischen Sprachmittlern, Behörden und Anwaltschaft auf lokaler Ebene, der bislang nur selten stattfindet. Noch sind genügend qualifizierte Sprachmittler für diesen Dialog vorhanden, bei Fortsetzung und Ausweitung der aktuellen Vergabepraxis wird sich das in wenigen Jahren ändern.

 

Über den Autor:

Dr. Andreas Conow
staatlich geprüfter Übersetzer