Leadership für Juristen: Führen Sie schon oder werden Sie noch geführt?

von Dr. Geertje Tutschka

Leadership und Führung gehören zu den Dingen, die zu unserem Alltag als Jurist irgendwie dazugehören, ohne dass wir danach gefragt hätten. Mitarbeiterführung ebenso wie Mandatsführung, die Führung einer Abteilung oder einer Kanzlei. Wollen wir als Wirtschaftssektor ernst genommen werden, tun wir gut daran, in Zeiten, in denen sich Führung gerade neu erfindet, am Ball zu bleiben. Wollen wir als Jurist erfolgreich sein, sollten wir unserer Führungsverantwortung gerecht werden.

Agile Führung, New Work, Leadership 4.0, Generation Y und die neuen Sinnfragen – die Themen sind vielfältig und komplex. Manches ist alter Wein in neuen Schläuchen, manches ist radikal neu. Experten-Knowhow, Executive Coaches, Leadership-Trainings machen die Führungskräfte von heute fit für die Zukunft. Also nichts wie rein in den nächsten Kurs?

Jein. Natürlich macht es immer Sinn, den eigenen Horizont zu erweitern und sich mit Themenkomplexen vertieft auseinanderzusetzen.
Beispielsweise mit den vier Wirkungsfeldern von Führung. Hiernach hängt Mitarbeiterführung immer auch vom eigenen Selbstverständnis ab sowie von der Position, die man im Rahmen der Organisation inne hat. Experten diskutieren sogar, ob nicht jede Führungskraft so gesehen Führer und Geführter gleichermaßen ist. Ein Repertoire an verschiedenen Führungsstilen wäre zudem hilfreich. Grundkenntnisse in Mitarbeitermotivation, Talente- Entwicklung sowie eine gewisse persönliche Reife und die Fähigkeit zur Selbstreflexion sind auch nützlich. Letztlich sollten wir die wichtigsten Kommunikationstechniken wie Feedback-Geben und Offene-Fragen-Stellen beherrschen, denn nicht von ungefähr heißt es: „wer fragt – führt.“

Das Thema Führung hat die meisten von uns unvorbereitet getroffen, als plötzlich Erwartungen und Fragen zu unserem Führungsstil aufkamen.
Studium und Referendariat bilden uns nach wie vor zu juristischen Sachbearbeitern aus. Im juristischen Alltag lassen wir uns jedoch schon bald von einem Team an Mitarbeitern unterstützen. Und auch unser Mandant vertraut uns ganz selbstverständlich die Führung seines Mandates, die Prozessführung und die Verhandlungsführung an. Für Richter und Inhouse Juristen gilt Ähnliches.
Kommt dann noch die Abteilungsleitung, Kanzleiführung oder gar die Kanzleiinhaberschaft hinzu, haben wir es mit einer drei- bis vierdimensionalen Führung zu tun, einer ebenso komplexen wie branchenspezifischen Besonderheit. Dabei kommt es vor, dass der Jurist in seinen unterschiedlichen Rollen sehr verschiedene Führungsstile anwenden muss, um voranzukommen. Führungskompetenz wird für Juristen zu einer Königsdisziplin.

Doch genau hier ist Vorsicht geboten: Die Entwicklung von Führungskompetenz in der Wirtschaft ist gut evaluiert, wissenschaftlich fundiert und aufbereitet, in unserer Branche hingegen nicht: Weder unser Berufsrecht noch unsere Berufsethik oder die Rollenvielfalt werden berücksichtigt. Expertenwissen zu Leadership sollte also zumindest hinterfragt und angepasst werden, wenn wir es für uns Juristen nutzen möchten.

Aber ist diese Art von Führungskompetenz dasselbe wie Leadership? Durch geschickte Führung werden Menschen intrinsisch motiviert, von sich selbst aus ihre Aufgaben zu erfüllen. Während Führungskompetenz eher ein erlernbares Führungshandwerk ist, geht Leadership darüber hinaus. Gute Leadership-Programme arbeiten mit der Persönlichkeit der Führungskraft. Sie evaluieren diese (wie die Leadership Assessments „Hogan- Assessments“ oder „360 Grad Feedback“) oder stoßen Persönlichkeitsentwicklung an (wie der auf die Maslowsche Bedürfnispyramide und dem Modell der „5 Säulen der Identität“ aufbauende LEAD-Dreiklang). Wichtig ist dabei, dass die Persönlichkeit und das Potenzial der Führungskraft zu ihren Aufgaben, ihrer Rolle und zu den Werten und dem Entwicklungsstand der Kanzlei passen. Das Modell der „Spiral Dynamics“ zeigt deutlich, wann Aufgabe, Organisation und Branche einen Autokraten, Teamplayer oder Coach brauchen. Die sog. „Profile Dynamics“ können hier z.B. als Hybrid die perfekte Konstellation zwischen den Bedürfnissen der Kanzlei und dem Persönlichkeitsprofil des Kanzleiinhabers ermitteln. Derart authentisch in den eigenen Werten Leadership leben zu können, ist ein Geschenk – für den Führenden und die Geführten. Leider ist die Personalentwicklung in der Rechtsbranche bei Führungsnachfolge und im Leadership Development oft noch nicht ausgereift.
Leadership ist Authentizität: bei Mitarbeiterführung, Kanzleiführung und Mandatsführung. Davon lebt auch Personal Branding zur Entwicklung des eigenen Expertenstatus zu einem bestimmten Spezialthema. Erfolg braucht ein Gesicht.

Leadership fängt also bei Ihnen an – egal, ob es um Ihre Mitarbeiter, Ihre Mandate oder die Kanzleiführung geht. Im Erkennen und Wahrnehmen der eigenen Führungsverantwortung zur richtigen Zeit und auf die richtige Weise liegt das große Geheimnis charismatischer Leader. Führen Sie schon oder werden Sie noch geführt?

Über die Autorin:

Dr. Geertje Tutschka, PCC

Rechtsanwältin in Deutschland/Österreich,
Inhaberin von CLP-Consulting, Präsidentin
des Berufsverbandes ICF Deutschland
und Autorin zahlreicher Fachbücher

www.consultingforlegals.com

www.geertje-tutschka.com

Quelle BECK Stellenmarkt 18/2019