Welche Kanzlei passt zu mir?

von Alexander Vaupel, Senior-Berater Legal, PerConex, seit 2005 tätig als Rechtsanwalt, seit 2007 in der juristischen Personalberatung.

Kanzlei ist nicht gleich Kanzlei. Insbesondere Berufseinsteiger stehen manchmal etwas ratlos vor der Entscheidung, welche Adresse für den Karrierestart die Beste ist. Sozietäten unterschiedlichster Größe und Ausrichtung bieten sich als potenzielle Arbeitgeber an.

1. Großkanzlei

Die klassische Law Firm ist mit einigen hundert oder sogar einigen tausend Rechtsanwälten in mehreren Ländern, europa- oder weltweit tätig. In diesem Kreis finden sich solche, die in Deutschland eine marktbeherrschende Stellung einnehmen und mit einer großen Anzahl von Berufsträgern vertreten sind, wie auch kleinere Dependancen mit einer überschaubaren Anzahl von Anwälten. Zwischen diesen ist natürlich zu differenzieren. Beiden gemein ist ein meist recht hoher Anteil an internationaler Mandatsarbeit sowie oftmals eine (unterschiedlich stark gelebte bzw. ausgeprägte) standortübergreifende Zusammenarbeit in wechselnd zusammengesetzten Teams. Die Vergütung ist in beiden Fällen ebenso hoch wie die Arbeitsbelastung.

Unterschiede ergeben sich teilweise in Folge der Größe der jeweiligen Büros. So kann als Faustformel gelten: Je mehr Rechtsanwälte in einer Kanzlei bzw. an einem Standort beschäftigt sind, desto spezialisierter werden diese auch eingesetzt. Je größer die Teams sind, desto engere Bereiche innerhalb eines Rechtsgebiets werden von den einzelnen Associates abgedeckt. Zudem kann konstatiert werden, dass oftmals die größeren Häuser mit einem höheren Durchlauf an Junganwälten besonders aufwendige und attraktive Aus- und Fortbildungsprogramme anbieten. In einigen Fällen sind die kleineren Einheiten außerdem großzügiger bei den Notenvoraussetzungen.

2. Mittelständische Kanzlei

Eine Klasse für sich stellen die deutschen Kanzleien dar, die in den üblichen Rankings nicht unter den Top 15 rangieren, die sogenannten mittelständischen Sozietäten. In diesen Häusern ist die Tätigkeit oftmals weniger international und die Mandatsstruktur häufig vom Mittelstand geprägt, während Großunternehmen seltener beraten werden.

Unterschiede ergeben sich außerdem hinsichtlich einer tendenziell geringeren Vergütung. Außerdem bestehen üblicherweise weniger strikte Anforderungen hinsichtlich der Formalqualifikationen.
In der Regel bestehen in mittelständischen Kanzleien gute Aufstiegschancen. Nicht zuletzt in Folge oftmals weniger strikter Strukturen und weniger strenger Anforderungen an die generierten Umsätze sind die Aussichten auf eine Partnerernennung realistischer als in einer Großkanzlei.

3. Boutique

„Spezialisierte Teams mit überschaubarer Manpower, die in einem Rechtsgebiet qualitativ hochwertig beraten.“ – diese Beschreibung trifft das Selbstverständnis der Boutiquen recht genau.

Ein Vorteil dieser Häuser für Berufseinsteiger besteht in einer frühen engen Einbindung in die häufig anspruchsvolle Mandatsarbeit. In Abhängigkeit von der Struktur der Kanzlei können die Partneraussichten besonders gut sein.
Außerdem wird bei der Bewerberauswahl üblicherweise mehr Wert auf die Persönlichkeit des Bewerbers und auf den „roten Faden“ im Lebenslauf gelegt als auf die Formalqualifikationen. So erhalten Kandidaten mit Interesse an einer Spezialisierung in Boutiquen potentiell die Gelegenheit, auf hohem Niveau und an interessanten Mandaten arbeiten zu können, ohne das Doppel-vb vorweisen zu müssen.

Nachteile sind der manchmal nur Marktkennern bekannte Name der Sozietäten sowie die tendenziell etwas zurückhaltendere Vergütung. Die ausgeprägte Spezialisierung unterscheidet sich in einigen Fällen von derjenigen in einer Großkanzlei dahingehend, dass die Berufsträger in einer Boutique in der Regel Spezialisten in ihrem jeweiligen Rechtsgebiet, aber innerhalb dieses Gebietes wiederum eher breit aufgestellt sind.

4. MDP

Der Reiz einer MDP – multidisziplinären Praxis – besteht in der interdisziplinären Zusammenarbeit mit nichtjuristischen Berufsträgern – üblicherweise Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Unternehmensberater. Diese birgt zahlreiche Synergieeffekte und kann überaus befruchtend sein. Insbesondere bei den Anwaltsgesellschaften der „Big 4“ ist eine hochinteressante Mandatsstruktur vorhanden.

Ein oftmals genannter Nachteil besteht in dem Erfordernis zum Teil recht umfassender Conflict Checks im Rahmen eigener anwaltlicher Akquisebemühungen, wodurch sich Anwälte teilweise etwas eingeschränkt fühlen mögen. Große MDPs sind oft an zahlreichen Standorten vertreten, auch dort, wo größere Anwaltskanzleien keine Niederlassung haben. Somit bieten sie sich als interessante Arbeitgeber auch abseits der üblichen Wirtschaftszentren an.

5. Allgemeinkanzlei

Die klassische Allgemeinkanzlei bietet eine Rundumbetreuung, die sich jedoch meist auf „Alltagsprobleme“ beschränkt und üblicherweise auf Privatpersonen als Mandatsklientel konzentriert.

Statt wirtschaftsrechtlicher Fragestellungen stehen hier eher allgemeines Zivilrecht, Mietrecht, Verkehrsrecht, Arbeitsrecht (AN-Seite), Strafrecht, Erb- und Familienrecht im Vordergrund. Je nach Größe und Aufstellung der Kanzlei konzentrieren sich die Anwälte auf einige der genannten Rechtsgebiete, manche decken jedoch auch alles ab. Allgemeinkanzleien sind in der Regel nicht besonders groß und teilweise als reine Bürogemeinschaften organisiert.

6. Fazit

Folgende Fragen sollte sich der Bewerber unbedingt stellen: Ist die Arbeit in einer großen Einheit gewünscht oder wird ein kleines, schlagkräftiges Team bevorzugt? Ist Internationalität eine Herzensangelegenheit oder eher verzichtbar? Kann man sich gut in feste Strukturen einfügen oder legt man gesteigerten Wert auf Eigenständigkeit und weitreichende Freiheiten? Möchte man sich spezialisieren oder aber breit aufgestellt juristisch tätig sein? Ein wichtiger Punkt darf ebenfalls nicht außer Acht gelassen werden: Ein späterer Wechsel findet üblicherweise „von groß nach klein“ und seltener umgekehrt statt. Demnach sollten Kandidaten, die Großkanzleierfahrung sammeln möchten, diese Chance am Anfang ihrer Karriere nutzen. Die Weichenstellung zu Beginn des Werdegangs ist somit eine, die sorgfältig überlegt werden sollte.

Die Referendarzeit bietet dabei eine gute Gelegenheit zur ersten Orientierung. Darüber hinaus sollte man versuchen, sich so intensiv wie möglich mit Kollegen aus unterschiedlichen Kanzleien auszutauschen, um sich einen Marktüberblick aus erster Hand zu verschaffen.

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Quelle NJW 19/2012