Das Familienrecht in der anwaltlichen Praxis – ein Überblick

von Jan-Rasmus Schultz, Diplom-Jurist und angehender Promotionsstudent an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Das Familienrecht ist ein äußerst dynamisches und komplexes Rechtsgebiet. In Ansehung der sich stets verändernden Sozialstrukturen steht der Gesetzgeber immerfort vor der Aufgabe, die rechtlichen Vorgaben und Prinzipien entsprechend anzupassen und auf die jeweilige Veränderung zuzuschneiden. Ein Blick in die Vergangenheit offenbart, wie vielfältig die erforderlichen Anpassungsmaßnahmen ausgestaltet sein können: So sah etwa der bis Ende der Fünfzigerjahre als gesetzlicher Regelfall ausgestaltete Güterstand vor, dass dem Ehemann die Verwaltung und Nutznießung des Vermögens der Ehefrau oblag. Darüber hinaus war das bis zum Ende der Siebzigerjahre geltende Unterhaltsrecht maßgeblich mit dem Anteil des Verschuldens an dem Scheitern der Ehe verknüpft - Regelungen, die zwangsläufig zu modernisieren waren. Die Veränderung der Sozialstruktur innerhalb Deutschlands hat jedoch nicht nur eine Anpassung verschiedener Teilbereiche des Familienrechts bewirkt, sondern auch dazu geführt, dass dem Familienrecht als eigenständigem Rechtsgebiet eine bedeutende Rolle in der rechtlichen Praxis zuteil wurde. Der Bedeutungszuwachs des Familienrechts lässt sich exemplarisch anhand der im Vergleich zu den vorigen Jahrzehnten exorbitant hohen Scheidungsrate erklären. Auch nehmen die Inobhutnahmen von Kindern durch den Staat erheblich zu, woraus in einer Vielzahl der Fälle ein streitiges gerichtliches Verfahren hervorgeht, dem familienrechtliche Frage- und Problemstellungen zu Grunde liegen. Die Tätigkeit des Fachanwalts für Familienrecht erstreckt sich neben der Ausgestaltung von Scheidungsfolgen und der Frage nach der Sorge- und Umgangsberechtigung für gemeinsame Kinder heutzutage auch auf das Recht der nichtehelichen Lebensgemeinschaft und das der eingetragenen Lebenspartnerschaften. Ferner fließen Aspekte des Sozial- und Rentenrechts sowie des internationalen Privatrechts vermehrt in die Fallbearbeitung ein.

Beginn und Ablauf eines familienrechtlichen Mandats

Am Anfang des familienrechtlichen Mandats steht regelmäßig ein Beratungsgespräch, das beispielsweise auf die Erläuterung der Scheidungs- und Trennungsfolgen gerichtet ist. Die Mandanten suchen oftmals bereits im Vorfeld einer sich abzeichnenden Auflösung der Ehe die anwaltliche Beratung auf, um frühzeitig über die mögliche Ausgestaltung der Scheidungs- und Trennungsfolgen informiert zu sein und etwaige Vorkehrungen rechtzeitig treffen zu können. Daher besteht die anwaltliche Tätigkeit im Regelfall zunächst in der Beratung und wird erst in dem darauf folgenden Schritt auf die Geltendmachung etwaiger Unterhalts - oder Ausgleichsansprüche ausgeweitet. Zu beachten ist, dass die beratende Tätigkeit in einer Vielzahl der Fälle durch Beratungshilfe abgedeckt wird. Beauftragt der Mandant den Beratenden auch mit der Durchsetzung etwaiger Unterhalts- oder Ausgleichsansprüche, sind zunächst die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten darzulegen. So wird etwa bei Vorliegen einer Zugewinngemeinschaft anhand des Anfangs- und des Endvermögens ermittelt, ob ein Ausgleichsanspruch besteht. Auch für die Ermittlung des Bestehens und der Höhe eines Unterhaltsanspruchs ist der Bearbeiter auf die Darlegung von Informationen angewiesen, die außergerichtlich oder gegebenenfalls im Wege einer Stufenklage geltend gemacht werden können.

Ausgleichsansprüche nach der Beendigung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft

Neben der Ausgestaltung der Trennungs- und Scheidungsfolgen einer Ehe spielt die Auflösung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft eine bedeutende Rolle in der Praxis des Familienrechts. In Ermangelung entsprechender Rechtsvorschriften, die das Familienrecht nur für den Fall der Auflösung einer Ehe parat hält, ist im Rahmen der Beendigung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft auf anderweitige Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches zurückzugreifen. Erwerben die Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft eine Immobilie und renovieren diese gemeinsam, so kann es sein, dass einer der beiden Partner im Hinblick auf die wirtschaftlichen und arbeitszeitlichen Verhältnisse einen gewichtigeren Beitrag leistet als der andere. Im Fall des Scheiterns der nichtehelichen Lebensgemeinschaft begehrt dieser Partner daher regelmäßig einen Ausgleich für den von ihm erbrachten höheren Beitrag. Um einen Ausgleichsanspruch geltend machen zu können, ist unter anderem ein Rückgriff auf die Vorschriften der BGB-Gesellschaft, des Bereicherungsrechts sowie des Wegfalls der Geschäftsgrundlage notwendig. Die Durchsetzung eines Ausgleichsanspruchs erfordert daher stets die sichere Kenntnis der einschlägigen Rechtsgrundlagen.

Das Verfahren der einstweiligen Anordnung

Die Regelung etwaiger Unterhalts- oder Ausgleichsansprüche ist für die beteiligten Ehegatten zwar zumeist von erheblicher Bedeutung. Allerdings kann nach der Auflösung einer Ehe auch ein ganz anderer Aspekt im Mittelpunkt stehen: die Ausgestaltung des Umgangsrechts. Diese erfordert unter Umständen den Erlass einer einstweiligen Anordnung, so dass der Anwalt für Familienrecht neben den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches auch die Regelungen des FamFG sicher beherrschen sollte.

Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die Tätigkeit im Familienrecht zwar mit vielfältigen Gesetzesänderungen und dem Erfordernis eines gebietsübergreifenden Grundlagenwissens einhergeht, den Anwender jedoch durch Diversität und stets unterschiedlich gelagerte Sachverhalte angemessen entschädigt.

Quelle BECK Stellenmarkt 21/2016